Die Geschichte der Sternburg Brauerei zu Lützschena Lützschena und Bier - diese
Einheit hätte vor Jahren niemand ernsthaft bestritten. Und noch heute bestimmt
die Silhouette der ehemaligen Brauerei mit der grünen Kuppel des Sudhauses und
dem Uhrenturm des Werkstattgebäudes die Landschaft, egal aus welcher Richtung
man sich dem Ort nähert.Seit wann in Lützschena Bier
gebraut wurde, kann heute niemand genau sagen. Fest steht lediglich, daß der zum
Gut Lützschena gehörenden Brauerei 1785 das Privileg erteilt wurde, in Leipzig
ihr Bier "auf Grund seiner Stärke und Güte" verkaufen zu dürfen. Im damaligen
Burgkeller,
wo sich heute das Restaurant Mövenpick befindet, gelangte es zum Ausschank.Als nun der Gutsbesitzer Rittmeister Hans Moritz Alexander von
Klengel im Jahre 1816 verstarb, geriet seine Witwe in wirtschaftliche Schwierigkeiten,
was sie letztlich veranlaßte, 1822 das Gut mit allem, was dazu gehörte, für
101.570 Taler an den Leipziger Kaufmann und Wollhändler Maximilian Speck (1776 - 1856)
zu verkaufen. Dem neuen Besitzer gelang es, das Gut nicht nur zu erhalten,
sondern durch erfolgreiche Unternehmungen, so die Schafzucht, Hochwasserschutz,
Obstbau, neue landwirtschaftliche Methoden, Betrieb von Ziegelei und Brauerei zu
neuer Blüte zu führen. Das brachte ihm nicht nur Gewinn, die Anerkennung seiner
Fachkollegen im In- und Ausland ein, sondern auch aus der Hand des bayerischen
Königs den erblichen Adelstitel.Das Wappen der Sternburg-Brauerei zu Lützschena Der nunmehrige RitterMaximilian Speck von Sternburg
schloß wenige Jahre später die alte Gutsbrauerei und ließ in den Jahren 1836/37
am jetzigen Standort, gestützt auf seine guten Erfahrungen aus dem Betrieb der
zu seinem Besitz gehörenden Klosterbrauerei des ehemaligen Benediktinerklosters St. Veit
bei Landshut in Bayern, eine neue Brauerei und Mälzerei errichten. Nach den
Plänen des Braumeisters des Augustinerbräu in München wurde der Betrieb gebaut,
zu dem auch ein Eis- und Bierkeller in 20m
Tiefe gehörten. Hergestellt wurde ein bekömmliches untergäriges Bier, das sich
zunehmender Beliebtheit erfreute. Ganz auf Selbstversorgung eingestellt, ließ
Speck im gleichen Jahr an 37.000 Stangen 112.000 Hopfenpflanzen ziehen, 1842
waren es bereits 135.000. Zur Sicherung der Wärmeversorgung ließ er 1842 aus
England Steinkohle anliefern, denn der Versuch, auf eigenem Land verwertbare
Braunkohle zu fördern, schlug fehl. Der gestiegene Bierabsatz erforderte später
den Neubau dreier Lagerkeller in den Jahren 1846/47. Freiherr Alexander Speck von Sternburg (1821 - 1911), ein Sohn
Maximilians, leitete nach dem Tod des Vaters im Jahre 1856 das Gut und die
Brauerei, wobei er sich besonders der Führung des Gutes widmete. Unter seiner
Leitung wurden 1876/77 ein neuer Dampfkessel und Dampfmaschine beschafft, das
Sudhaus ausgebaut und für die Mälzerei eine neue Darre errichtet. Sein Sohn
James Alexander (1856 - 1916),
ein ausgezeichneter Fachmann auf dem Gebiet des Brauereiwesens, ließ die
Brauerei, welche er seit 1883 leitete, nach neuesten wissenschaftlichen
Erkenntnissen führen und zielstrebig erweitern. Wurden in diesem Jahr 12.000
Hektoliter Bier gebraut, so überstieg bald die Nachfrage das Angebot. Ein neuer
Dampfkessel, Eis- und Kühlmaschinen wurden deshalb 1888/89 angeschafft, um die
Produktion zu steigern. In Oswald Winde fand James Alexander einen Mitarbeiter, der sich im Brauwesen bestens auskannte
und bereit war, die von seinem Chef verfolgten Pläne umzusetzen. 1890 wurde ihm
die Betriebsleitung übertragen. Die folgenden Jahre bis
zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren gekennzeichnet durch die stetige
Entwicklung des Betriebes. 1890/91 wurde ein neues Sudhaus mit Dampfkochung in
Betrieb genommen, mußten neue Gärbottiche und Lagerfässer heran. Das setzte die
Brauerei in die Lage, ab 1892 das Bier auch in Flaschen zu versenden. 1897 wurde
der gesamte Betrieb mit Elektromotoren ausgestattet. An der Elster wurde 1901
das heute noch bestehende Wasserkraftwerk in Betrieb genommen, dessen drei Francisturbinen die
Brauerei und später Teile von Lützschena bis in die 60-er Jahre mit Gleichstrom
versorgten. Als erster deutscher Betrieb verfügte die Brauerei um die
Jahrhundertwende über ein internes Telefonnetz mit 74 Anschlüssen. Vorbildlich
auch nach heutigen Gesichtspunkten war die energetisch und ökologisch effiziente
Fahrweise des Betriebes durch Kraft-Wärme-Kopplung und die Verwendung des
Wassers in Kreisläufen.Bis 1906 wurden der
Flaschenkeller und das Kühlhaus erweitert, im gleichen Jahr der Gasthof
umgebaut, denn hier erfolgte der Brauereiausschank des weithin bekannten
Sternburg Bieres. Der Neubau des Kesselhauses war 1910 abgeschlossen, ebenso die
Erweiterung der Brunnenanlage auf dem Gelände der Villa Martha und die
Vergrößerung des Pferdestalls "An der Schäferei". Und mit der Inbetriebnahme des
Anschlußgleises im Jahre 1911 und dem damit verbundenen Zugang zum Eisenbahnnetz
wurden die logistischen Probleme der Brauerei (Zufuhr von Brenn-, Roh- und
Hilfsstoffen, Abtransport von Bier in Fässern und Flaschen sowie speziellen
Faßwaggons) auf zeitgemäße Weise gelöst. Eine Veränderung der
Eigentumsverhältnisse trat ein, als die Brauerei 1912 von dem übrigen Gutsbesitz
getrennt und in eine GmbH umgewandelt wurde, als deren Prokurist Curt von Funcke tätig wurde.
Der Beginn des ersten Weltkrieges unterbrach die stürmische
Entwicklung der Brauerei.Das Wachsen der Brauerei hatte
aber auch positive Wirkungen für ihre Beschäftigten und den Ort. So wurde
1902/03 eine Betriebskrankenkasse gegründet. 1918 wurden 15 Einfamilienhäuser
gekauft, um sie bevorzugt an die Mitarbeiter zu vermieten. In den 1928/29
gebauten Wohnhäusern Bahnstraße 17 - 20 befanden sich die
Dienstwohnungen für leitende Angestellte.
Erste Neubauten nach dem Krieg 1914 - 1918 waren ein
weiterer Lagerkeller und die Autohalle, denn die rasche Belieferung der Kunden
in der näheren Umgebung sowie der zahlreich entstandenen Niederlassungen (u.a.
Brandis, Landsberg, Lützen, Delitzsch, Halle) erforderten den Einsatz von
Lastkraftwagen. Letzte große Neubauten vor dem Zweiten Weltkrieg waren 1928 das
Sudhaus mit seinem weithin sichtbaren Kupferdach und das Werkstattgebäude mit
dem Uhrturm. Beide Gebäude stehen unter Denkmalschutz, verkörpern sie nicht nur
einen Teil der Industriegeschichte unserer Region, sondern bestimmen auch ganz
entscheidend das Bild von Lützschena. Bei Beginn des 2. Weltkrieges betrug die
jährliche Bierproduktion 250.000 Hektoliter.Als im April 1945 amerikanische Truppen nach Leipzig
vorrückten, wurde in der Brauerei ein antifaschistischer Betriebsrat gebildet,
der sich darum bemühte, die Brauerei unter den neuen Bedingungen fortzuführen.
Das änderte sich aber, als am 2. Juli 1945 die Amerikaner von sowjetischen
Truppen abgelöst wurden, welche die Brauerei 1946 auf die Liste C setzten und in
ihre Verwaltung nahmen. Erst auf der Grundlage des Befehls Nr. 64 der SMAD
(Sowjetische Militär-Administration Deutschland) wurde die Brauerei am 1. Juli
1947 in deutsche Hände zurückgegeben, allerdings als VEB (Volkseigener Betrieb),
welcher der VVB Brauereien (VVB = Vereinigung volkseigener Betriebe) mit Sitz in
Dresden unterstellt wurde.Im Jahre 1959 wurden die Sternburg Brauerei Lützschena,
die Sternen-Brauerei Schkeuditz und und die Malzfabrik Schkeuditz
zu dem VEB Brau- und Malzkombinat Sternburg zusammengeschlossen. Das
Spezialbier "German Pils, zur Leipziger Frühjahrsmesse 1966 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, wurde
nach Ungarn, Rumänien, Bulgarien und in die Sowjetunion exportiert, sowie bei
der Bordverpflegung auf den Schiffen der DDR und in den Flugzeugen der
DDR-Fluglinie "Interflug" eingesetzt. 1969 erhielt das Porter eine Goldmedaille
der Leipziger Messe.
Das Etikett des Sternburg-Bieres
Durch die Aufstellung der
ersten 23 m hohen Gär- und Reifereaktoren mit einem Fassungsvermögen von 250.000
Litern im Jahre 1973 - 1980 waren es am Ende acht Stück - wurden neue Wege in
der Brautechnologie beschritten. Mit der Inbetriebnahme eines neuen
Flaschenkellers im Jahre 1976, errichtet als Stahlskelettbau, konnte bis 1978
die Bierproduktion auf jährlich 400.000 Hektoliter gesteigert werden. Die
Feuerung des Kesselhauses wurde in dieser Zeit von Rohbraunkohle auf Heizöl
umgestellt, eine Maßnahme, die später wieder rückgängig gemacht wurde, weil
wegen fehlender Devisen die Beschaffung von Erdöl durch die DDR nur für
ausgewählte Verwendungen erfolgte.
Noch im Jahre 1989 wurden in der Brauerei von ca. 500 Beschäftigten 500.000 Hektoliter Bier produziert. Mit
dem Ende der DDR nahte auch das Ende der Brauerei. Kurz nach Öffnung der Grenze,
im Frühjahr 1990, stellte sich die "Stuttgarter Hofbräu" angeblich helfend an die Seite
der Lützschenaer, äußerte Kaufabsichten. Nachdem man das Vertriebsnetz von
Sternburg genutzt hatte, um die eigenen Biere rasch auf den ostdeutschen Markt
zu bringen, wurde nach dem Bekanntwerden des von der Treuhand geforderten
Kaufpreises der Rückzug angetreten. EKU Kulmbach kam aus ungeklärten Gründen nicht
zum Zuge, denn das Rennen machte die Brau- und Brunnen AG in Dortmund, welche
letztlich den Betrieb unter Einschaltung des früheren Stammbetriebs des
volkseigenen Getränkekombinat Leipzig, zu dem die Sternburg-Brauerei gehörte,
und der späteren Sachsenbräu AG in Leipzig-Reudnitz für 5,6 Millionen DM erwarb. Neben dem eigentlichen
Brauereigelände gehörten dazu auch Liegenschaften in der Nähe von Lützschena,
insgesamt eine Fläche von 4,6 Hektar, darunter eine Fläche von ca. 70.000
Quadratmetern in der Nähe des Flughafens Leipzig-Halle.Am 15. Mai 1991 wurde letztmalig in Lützschena Bier
gebraut, anschließend nur noch abgefüllt und ausgeliefert. Am 31. August 1991
wurde die Brauerei trotz der Besetzung durch die Belegschaft, Einsprüchen des
Gemeinderates und der evangelischen Kirchgemeinde Lützschena endgültig
geschlossen. Bereits vorher wurde mit der Verlagerung der Faßabfüllanlage nach
Reudnitz mit der Demontage der Ausrüstungen begonnen. Was noch brauchbar war
wurde entweder nach Reudnitz geschafft oder verkauft, der Rest verschrottet oder
auf den Müll geworfen. Von der Belegschaft sollten lediglich 50 Mitarbeiter bis
1993 in Reudnitz weiter beschäftigt werden, alle übrigen wurden im August 1991
entlassen.Das Kesselhaus und die Ölbehälter wurden abgerissen, am
16. Februar 1995 der Schornstein gesprengt, mit dem Abbruch des Flaschenkellers
wurde begonnen. Übrig geblieben ist eine Industriebrache, die immer mehr
verfällt. Auch bei den denkmalgeschützten Gebäuden Sudhaus, Werkstatt und
Garagen ist durch unterlassene Pflege ein Zustand eingetreten, der am Ende den
Abriß unvermeidlich erscheinen läßt. Pläne der Brau und Brunnen AG aus dem Jahre
1996, auf dem Brauereigelände unter Einbeziehung der denkmalgeschützten Bauten
ein Gemeindezentrum (Wohn-, Gewerbe-, Verwaltungs- und Dienstleistungsflächen)
entstehen zu lassen, scheiterten bisher daran, daß angeblich kein Investor
gefunden wurde, der die Fläche übernimmt und bebaut.Im Jahre 2004 sah es nun so aus, als habe ein Investor
im Zuge einer freiwilligen Versteigerung die Brauerei erworben. Dem
Ortschaftsrat und der Presse wurden Pläne vorgestellt, was mit der Brauerei
geschehen soll. Es war von einer Einkaufsmeile und gastronomischen Einrichtungen
die Rede, Sport- und Wellnessbereiche sollten entstehen, Tiefgarage und Hotel.
Bis heute hat sich in dieser Sache keine Hand geregt, ein neuer Bebauungsplan
ist nicht bekannt. Offensichtlich sind die Eigentumsverhältnisse immer noch
unklar, so daß sich der Ortschaftsrat im März 2005 an den Oberbürgermeister
wandte mit der Bitte, sich um Klärung zu bemühen, damit dieser Schandfleck
verschwindet und zumindest die denkmalgeschützten Bauten, welche die Landschaft
prägen, erhalten bleiben.