Auen-Kurier April/Mai 2007

Kriegsende und Neubeginn 1945 in Lützschena

Kürzlich wurde mir von einem Lützschenaer Bürger ein unansehnlicher Schnellhefter übergeben, der etliche Seiten vergilbten Papiers beinhaltet. Diese sind ein wahrer Schatz, sind sie doch Kopien eines mit der Schreibmaschine hergestellten Textes, der über die Vorgänge in der Gemeinde Lützschena im Zeitraum vom 18. April bis 9. Juni 1945 berichtet. Verfasser ist offenbar der erste Bürgermeister nach dem Kriegsende Willy Pietzsch, ein in Verwaltungsdingen nicht unerfahrener Mann, wie man beim Lesen leicht feststellen wird. Welcher Partei er angehörte, das lässt sich daraus nicht entnehmen, dass er von Genossen spricht, denn das tun bis heute Sozialdemokraten und Kommunisten nach wie vor. Das ist jedoch unerheblich, denn schließlich wird im Text erkennbar, dass es nicht um ein Parteiengezänk geht, sondern um die Sache, nämlich das Wohl der Bevölkerung im Ort. Allerdings ist nicht zu erfahren, zu welchem Zweck Willy Pietzsch 16 Seiten Papier beschrieb. Hatte er sich bei der Militärverwaltung für seine Amtsführung zu rechtfertigen? Oder musste er vor der Behörde im Landkreis Rechenschaft ablegen? Hatte er vor der Einwohnerschaft der Gemeinde über seine Arbeit und die nächsten Vorhaben zu sprechen? Letzteres könnte der Fall gewesen sein, betrachtet man die Unterstreichungen an verschiedenen Stellen.Bei der Abschrift habe ich mich an das Vorgefundene gehalten, weder einen Buchstaben noch ein Komma unterschlagen. Das erweckt vielleicht den Eindruck als stünde ich mit der heutigen Rechtschreibung auf Kriegsfuß, was aber nicht stimmt. Lediglich durch die Unterschiede bei der Schriftgröße kommt es zu einer anderen Aufteilung der Absätze als im Original. Dieses werde ich mit Zustimmung derer, die es mir überließen, dem Heimatverein Lützschena-Stahmeln e.V. zur dauerhaften Aufbewahrung übergeben, so dass jeder das gern nachprüfen kann. Wer weiß, wo heute noch solche Schätze schlummern! Die auszugsweise Veröffentlichung dieses Textes im "Auen- Kurier", sollte der Anlass sein, doch noch einmal nach Dokumenten, Fotos oder persönlichen Aufzeichnungen zu suchen und dem Heimatverein zur Verfügung zu stellen. Diese nimmt man dort gern entgegen, veröffentlich vielleicht auch einiges davon, denn sie sind geeignet, unsere Ortsgeschichte umfassender zu erkennen. Schließlich kann der Abdruck eine lebendige Diskussion auslösen, denn in dem Text sind Begriffe enthalten, die jüngere Menschen sicher nicht verstehen. Indem danach gefragt wird, können wir Älteren, die diese Zeit noch miterlebt haben, sicher die Fragen beantworten. In dem Sinne würde es mich sehr freuen, könnte der Bericht etwas in Bewegung setzen, was dringend gebraucht wird, um dem Neofaschismus wirkungsvoll entgegen zu treten. Horst Pawlitzky
Auszüge aus dem Bericht von Willy Pietzsch vom 9. Juni 1945
Die Schicksalswende unserer Gemeinde 6 Wochen Kommunalpolitik
Am 18. April, mittags 1/2 2 Uhr, hatte sich das Sehnen so vieler Lützschenaer erfüllt. Der Terror der Nazi´s war mit dem Einrücken der amerikanischen Streitkräfte gebrochen.
Wir alle, die 12 lange Jahre darauf gewartet und gelitten hatten, wollten gerade aufatmen, da kam die erste Enttäuschung. Der alte Nazi-Häuptling Peter, der Vandale, wie ihn seine eigenen Parteigenossen nannten, wurde weiterhin vom Kommandanten der Amerikaner als Mittelsmann zwischen denselben und der Einwohnerschaft bestellt. Was war los? Im gleichen Augenblick, wo amerikanische Soldaten die Proklamation an die Bekanntmachungstafeln schlugen, worin sie erklärten: `Wir kommen, um den Nationalsozialismus zu vernichtenA, erlebten wir, daß über 70 Wohnungen der Einwohnerschaft geräumt werden mußten. Daran war der ehemalige Ortsgewaltige Peter nicht ganz unschuldig. Es wäre sicher möglich gewesen, nur Naziwohnungen vorzuschlagen, wenn bereits ein anderer Einfluß, als der Peter´sche bestanden hätte. Die Einwohnerschaft, die froh war, den Kriegseinflüssen und Bombennächten entronnen zu sein, war beunruhigt und klagte.Dazwischen kam noch eine Munitionsexplosion auf dem Lützschenaer Bahngelände, die einen großen Teil unserer Häuser beschädigte. Wir alle hatten zu tun, um für unsere Familie besorgt zu sein. Die meisten Frauen standen noch ohne Männer, die sich noch bei der Wehrmacht befanden und ohne allen Schutz mit ihren Kindern allein da. Eine Lähmung ohne-gleichen erfaßte uns alle. ...
Der Krieg war aus, unser Kampf begann.
Die alten Ortsgewaltigen waren noch am Ruder und rührten keinen Finger. Einige Gesinnungsfreunde von mir, waren sich einig, nicht einzugreifen, da wir in den Jahren nach 1918 schon einmal den Prügelknaben machen und unseren Einsatz mit unserer Freiheit bezahlen mußten! Einige wenige aber rafften sich doch auf. ...
Am 20. April erschienen 5 Genossen (Zschau, Stichaner, Schulze, Schönfeld, Pekar) in meiner Wohnung und forderten meine Beteiligung und meine Mitarbeit. Ich hatte im Willen abzulehnen. Auch ich wollte mich keiner Politik mehr forderten, eine Beteiligung und meine Mitarbeit. Ich hatte im Willen, abzulehnen. Ich wollte mich keiner Politik mehr widmen. Ich habe mich dennoch überzeugen lassen und wir erwirkten am 22.4.1945 vormittags eine Aussprache beim Kommandant der amerikanischen Streitkräfte unter Führung unseres Freundes Fritz Schulze. Wir wussten wohl, was wir riskierten. Den meisten unserer Einwohner wird es erst dadurch zum Bewußtsein kommen, wenn wir ihnen heute sagen, daß in Bitterfeld, also kaum 30 B 35 km in der Flanke von uns, noch gekämpft wurde. Jede Stunde konnte ein zeitweiliges Rückgehen der Amerikaner einsetzen. Und die Nazi´s waren noch am Ruder. Im gegebenen Moment hätten sie sich wahrscheinlich bitter an uns und unseren Familien gerächt. ...
Nun, unsere Wünsche waren schnell unterbreitet: Die Übernahme der örtlichen Verwaltung. "In wessen Auftrag kommen Sie?" "Im Auftrag der antifaschistischen Bevölkerung!" "Wer garantiert mir hierfür? Denn für mich ist jeder Deutsche ein Nazi!" "Das ist nicht wahr; denn die Mehrzahl der Einwohner steht hinter uns!" "Beweisen Sie mir das und bringen Sie mir von diesen Einwohnern die Erklärung!" Und so zogen wir 6 Mann los. Bis anderen Tags, also am 23.4.1945 früh 10 Uhr mussten wir dem Kommandanten so viel als möglich Unterschriften bringen. ...
Am 23. wurde unser Freund Schulze zum Kommandant vorgelassen, mit der Weisung, noch mehr Unterschriften zu sammeln. Während dieser Arbeit wurde unser Schulze Fritz in die Kriegsgefangenschaft entführt, da er noch keine Entlassungspapiere der Wehrmacht in Händen hatte. Was nun? Die angefangene Arbeit mußte weitergeführt werden. Das stand fest. Ein anderer mußte in die Bresche springen, und dazu wurde ich von meinen Genossen bestimmt. Also ran an den Kommandant. Ich mußte mir nun einen Dolmetscher in der Person des Gasthofwirtes Biedermann bestellen. Aber nur durch den Posten ließ der Kommandant mit sich reden und uns Bescheid sagen. Es kam uns vor, als wollten die Amerikaner unsere Aktion verzögern. Das war am 24.4.1945. Am nächsten Tag sprachen wir wieder vor, mit dem Misserfolg, daß der Kommandant keine Zeit habe, uns zu empfangen. Wir wurden auf den nächsten Tag 10 Uhr bestellt. Am 26.4.1945 dasselbe. Die Besatzungstruppe hatte Marschbefehl erhalten und deshalb konnten wir nicht vorgelassen werden. Wenn wir benötigt würden, wollte man uns rufen lassen. Wir gaben unsere Sache schon verloren und gingen enttäuscht auseinander. Aber der Kommandant hielt doch Wort. Gegen 1/2 12 Uhr mittags am 26.4.1945 wurde ich durch den Adjutanten abgeholt, nach dem Gasthof Lützschena zum Dolmetscher Biedermann gebracht und dort wurde mir nach nochmaliger Prüfung meiner Papiere meine Einsetzung als Bürgermeister der Gemeinde Lützschena eröffnet. Ich war im Augenblick sprachlos. Auf meine Frage, was denn nun mit Peter und Anhang wird, wurde mir zur Antwort, daß sich Peter und Reckwitz bereits in Gewahrsam befände. Er beauftragte mich, sofort die Übernahme der Gemeindeverwaltung zu starten und ihm bis 2 Uhr darüber Bericht zu erstatten. ...
Um 1 Uhr erging an die Einwohnerschaft die erste Bekanntmachung über die Absetzung des Bürgermeisters Häcker und dessen Stellvertreter Peter und die Einsetzung des neuen Bürgermeisters Willy Pietzsch. Nach kurzer Beratung war die Arbeitseinteilung vorgenommen und bereits am anderen Morgen 8 Uhr konnte die Abwicklung der öffentlichen Angelegenheiten reibungslos weiterlaufen. Was sich nun ergab, war ein gewaltiger Berg Arbeit, ein Hetzen und Jagen aller Genossen, die sich keine Ruhe gönnten. Unermüdlich wurde geschafft, jeder gab sein Bestes. Aber ein Mißstand trat grell zu Tage. Jeder glaubte sein persönliches Süppchen kochen zu können. ... Ausländer und Deutsche gingen weiter plündern. Man brach ab und raubte, was nicht niet- und nagelfest war. Meine Verhandlungen mit dem Kommandanten und dem Landrat begannen. Die Ernährungslage war uns das lebensnotwendigste.
Am 30.4.1945 trat ein Wechsel bei den Besatzungstruppen ein. Ein neuer Kommandant kam in den Ort und besetzte mit seiner 120 Mann starken Truppe den gesamten Brauereibetrieb. Die alte Besatzung zog ab und dadurch konnten 70 Wohnungen, die vorher für amerikanische Quartiere geräumt werden mußten, wieder bezogen werden. Dadurch trat eine gewisse Erleichterung bei der Bevölkerung ein. Wir hatten alle Hände voll zu tun. Ich fand dabei die regste Unterstützung durch die neue Ortskomman-dantur und ich muß gestehen, daß sich von den Umgangsformen der Amerikaner unsere deutschen Dienststellen eine `Scheibe abschneiden konnten. Mit einer Fairneß wurde verfahren, die in Erstaunen setzte, zumal man ja bedenken mußte, daß diese Leute als Eroberer zu uns kamen.

Im Rittergut Lützschena waren Differenzen über die Weiterbeschäftigung von Inspektor Holzweissig, Hofmeister Stollberg und Buchhalterin Bösenberg ausgebrochen. Während die auf dem Rittergut beschäftigten Polen es fertig brachten, sogar den Hof und die Baronesse als Betriebsführerin Tag und Nacht vor Plünderungen zu bewachen. Beschämend für uns Deutsche, daß gerade das Verhalten der Polen über alles Lob erhaben ist. Gerade aus diesen Erwägungen heraus mußte ich die fristlose Entlassung des Hof-meisters Stollberg erwirken, der sich gröberer Verletzungen in der Behandlung der Polen hatte zu Schulden kommen lassen, und wenn nicht Ruhe und Arbeitsfrieden aufs Schlimmste gefährdet werden sollten.

Dazwischen hinein bemühte ich mich um die Wiederversorgung mit Kochgas, was durchaus auch bald wieder durch die Vermittlung des amerikanischen Kommandanten geliefert wurde. An der Wiederinbetriebnahme der Außenbahn waren wir ebenfalls maßgeblich beteiligt. Und von da an zogen wir den Arbeitseinsatz auf. Ich berief als Einsatzleiter hierzu meinen Freund Beuchelt, der mir aus der Arbeitersportbewegung und zuletzt bei den Vorgängen im Volkssturm nahestand und vertrauenswürdig erschien. Im Übrigen brachte er die nötigen Fachkenntnisse als früherer Bauarbeiter und jetziger Schachtmeister mit. Lediglich Parteigenossen zur Strafarbeit zu beschäftigen, wie man es mit uns 1933 gemacht hatte, ließen die Amerikaner nicht zu. Deshalb mußte ich die Pflichtarbeit für alle freistehenden Arbeitskräfte einführen. Deswegen war und ist auch jetzt noch der Erfolg unseres allgemeinen Aufrufs zur Arbeitsleistung kein durchschlagender. Aber es wird die Zeit kommen, wo man mir noch die Hände schütteln wird, daß ich die Einwohner hier im Orte beschäftige. Auch finde ich noch wenig Verständnis bei vielen Eltern, daß ich die größeren Kinder und Jugendlichen zur Arbeit heranzog. Mein Bestreben war, diese erst einmal von der Straße fernzuhalten. Der fehlende Schulunterricht, das Plündern der Erwachsenen usw., übte verderblichen Einfluß aus. Man müßte mich hierin mehr, ja mit allen Mitteln unterstützen! Und ich werde noch alle zu erfassen wissen, auch die über 18 Jahre alten Jahrgänge. Es gibt noch zu viele Drückeberger.

Wir gehen mit unserer Ernährungslage noch einer schweren Zeit entgegen und verlasst Euch darauf, wir werden rücksichtslos durchgreifen bei denen, die sich jetzt weigern und sich damit an der Gemeinschaft vergangen haben! ... Deswegen stellten wir auch sicher, was noch zu retten war. Waffen mußten abgegeben werden. Eine Bekanntmachung jagte die andere. Ausgeh- und Sperrzeiten wurden verordnet und wieder aufgehoben. Die Lebensmittel-Erfassung und Verteilung setzte ein, noch etwas ver-worren, aber es wurde doch wieder etwas eingearbeitet. Ich berief zur Unterstützung des hiesigen Gendarmeriepostens, der bis auf weiteres noch zu amtieren hatte, eine Hilfspolizei von 16 Mann ein. Sie kamen oft mit blutigen Köpfen heim, wenn es galt Plünderungen und Belästigungen der Bauern durch wilde Viehabschlachtungen zu unterbinden.

Dazwischen fiel der 8. Mai, der Tag der Kapitulation der gesamten deutschen Wehrmacht. Für uns der Beginn einer vollständig neuen Epoche und die endliche Aus-seicht auf die Verwirklichung unserer Forderung: Nie wieder Krieg! Die Verdunklung wurde aufgehoben.

Neue Flüchtlinge und heimreisende Wehrmachtsangehörige wurden verpflegt und untergebracht. Hier fand ich eine einzigartige Unterstützung in dem Gasthofwirts-Ehepaar Biedermann, die oft das Unmöglichste möglich machten. Hier untergebrachte Evakuierte drängten auf menschenwürdigere Unterbringung, die von den Nazi´s seiner Zeit ganz regellos vorgenommen worden war. Wohnungsbau wurde ins Auge gefasst und sofort damit begonnen. Maurer und Zimmerleute, Erdarbeiter, Schlosser, Klempner, Dachdecker hierzu verpflichtet. Zwei Wohnungen im Schießstand gehen ihrer Vollendung entgegen. Zur Zeit werden die großen Baracken hinter dem ehemaligen Schießstand und an Weihmann´s Gut wieder bewohnbar hergestellt. Bombentrichter auf den Roßberg´schen Feldern am Windmühlenweg und die Geschützunterstände in der Flak-, sowie Scheinwerferstellung sind eingeebnet. Das daraus ausgebaute Holz, die Leitungsmasten, Steine und dergleichen für Bauzwecke in eigener Regie eingelagert oder für dringlichere Arbeiten abgegeben. Die dadurch freigewordenen Landstücken sofort von den Bauern bestellt oder in Parzellen aufgeteilt und als Grabeland vergeben. Durchschnittlich 300 Frauen und Kinder wurden den Landwirtschaftsbetrieben zum Rübenverziehen bzw. -hacken zur Verfügung gestellt. Mit den am Orte bestehenden 3 Schrebervereinen leitete ich Verhand-lungen ein und mußte eine Teilung von großen Gärten und die Enteignung von Doppelgärten fordern. Es soll möglichst jeder in den Besitz eines Stückes eigen Scholle kommen, getreu der Forderung: „Pflanzen nicht schanzen!“

Wie in jungen Jahren als aktiver Sportler, bin ich auch heute noch ein eifriger Förderer der Leibesübungen. Aus diesem Grunde setze ich mich augenblicklich auch intensiv für die Erwirkung der Spiel- und Turnveranstaltungen ein. Ich habe mich auch befaßt mit der Gründung eines ambulanten Krankenhauses. Die Möglichkeit war uns gegeben, durch die Bestände der Wehrmachts-revierstube „Grüne Aue“, die uns durch den Ortskommandanten Lt. Harris übereignet wurden. Der von mir nach hier verpflichtete Dr. Kiefer B Schkeuditz, der hier in Lützschena mangels eines anderen Arztes Sprechstunden abhält und Krankenbesuche macht, sprach sich ebenfalls zustimmend aus. Die Rentabilitätsberechnung ergab zu hohe Zuschüsse, die uns überlastet hätten. Das Projekt ruht zur Zeit, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Einstweilen begnügen wir uns mit der bestehenden, leider auch geplünderten Unfallhilfsstelle unter Leitung der Frau Engelmann.

In der ehemaligen Kindertagesstätte der NSV fand ich ein weiteres Betätigungsfeld. Es war schwer dort Ordnung hereinzu-bringen. Der Betrieb hatte schon geraume Zeit vor dem Zusammenbruch der NSDAP geruht. Durch Bombenabwürfe und Munitionsexplosion auf dem Lützschenaer Bahngelände waren Fensterschäden eingetreten. Die Einrichtungsgegenstände, Kücheninventar usw. waren zum größten Teil geraubt. Wir konnten auch hier durch die Anständigkeit vieler das meiste wieder herbeischaffen. Glas für Fensterscheiben konnte beschafft werden, indem wir ein Ausweichlager einer Leipziger Firma in Lützschena entdeckt hatten und vor der Zerstörung durch Ausländer sicherstellten. Als Äquivalent billigte mir die Firma eine große Menge Scheibenglas zu. Wir hatten dadurch die Möglichkeit, fast alle Schäden im Orte, zuerst an Arbeiterwohnungen und Gemeindegrundstücken zu beheben. So wurde auch unser Kindergarten wieder verglast, und am 1. Juni früh 8 Uhr zogen bereits 36 junge Menschlein im Alter von 3 B 9 Jahren ein. Die Zahl wächst dauernd, da wir gegen Abgabe von geringen Mengen in Lebensmittelmarken ein ausreichendes und kräftiges Mittagessen bieten und auch die geschickte Leitung einer geprüften Kindergärtnerin, einer Helferin und einer Kochfrau gewähr für ein gedeihliches Arbeiten bieten. Ebenfalls am 1. Juni konnte ich in der ehemaligen Ortsgruppe der NSDAP das Amt für Wohlfahrtspflege eröffnen. Aus einer Hochburg des Terrors wurde somit ein Institut antifaschistischer Volkshilfe.

Damit komme ich gleich dazu, über interne Verwaltungsfragen zu reden. Außer dem vorgehend erwähnten Gendarmerieposten also der staatlichen Polizeiorgane, steht mir noch ein Angestellter für den örtlichen Aufsichtsdienst (Händel) zur Verfügung, der gleichzeitig diensttuender Feuerwehrführer ist. Der Betreffende wird, da zur Zeit die Postverständigung noch ausfällt, als Kurier, gleichzeitig für die Gemeine Stahmeln, verwandt. Dieser Dienst ist nicht leicht und erfordert guten Willen, den ich aber auch hier vorfand.

Die Allgemeine Verwaltung übernahm ich nach der Entlassung des Herrn Lange, die ich auf Befehl der Militär-Regierung vor-nehmen mußte, selbst, unter der Assistenz des bisher damit beschäftigten Personals. Gegliedert ist diese Allgemeine Verwaltung in: Haupt- und Zentralverwaltung, Statistisches, Wahlen, Verkehr, Presse, Staatliche und provinzielle Angelegenheiten, Woh-nungsnachweis, Mietsachen, Versicherungen.

Herr Forbriger musßte ebenfalls nach politischer (Prüfung?) auf Befehl der Militär-Regierung seinen Dienst verlassen. Das von ihm innegehabte Standesamt wird nach meiner Bestellung von mir ausgeübt werden. Von mir in die Verwaltung neu berufen wurde mein Gesinnungsfreund Kurt Zschau, den ich mit der Lebensmittelkarten- und Bezugscheinstelle betraute. Ein Posten, der vor allen Dingen Ehrlichkeit erfordert.

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