An dieser Stelle setzen wir die Abschrift der Chronik mit dem Eintrag für den Monat Juli 1844 - vor 175 Jahren – fort:

 

15. August

Endlich gewinne ich Zeit, die wichtigsten und unvergeßlichen Erlebnisse der vorigen Woche (5. 6.-9. August) auch in dieser Cronik zum steten Andenken aufzuzeichnen.

Montag, den 5. Aug¬ust± Mittag verließ ich mein Haus, um zunächst in den Nachmittagstunden der sehr interessanten Versammlung beizuwohnen, in welche der Leipziger Verein der Gustav-Adolph-Stiftung von der Jahres-Einnahme der Stadt und Ephorie vorläufigen Bericht ertattete, Vorschläge zur Unterstützung nahmhafter protest¬antischen± Gemeinden in Mähren und Ungarn that, und über die verschiedenen protestantischen Zustände des Auslandes ausführlich zum Theil recht betrübende Mitteilungen machte.

Dienstag früh fuhr ich mit dem Leipzig-Dresdner Eisenbahnzuge nach Meißen in Begleitung vieler Sänger, welche dem dort vorbereiteten Männergesangsfeste mit beiwohnen wollten.

Mich hatte der nun 71 jährige Herr Oberleutnant [Rudolph Wilhelm Ludwig] von Kyaw, dessen Hauslehrer ich von 1821 bis 1824 gewesen war, auf das freundschaftlichste zu sich eingeladen, und so fand ich bei meiner Ankunft die herzlichste Aufnahme in seiner Wohnung und die größte Bequemlichkeit und Pflege, einige glückliche Tage hindurch. Wie wohl tath es mir, die lieben alten Freunde, Berge und Thäler wieder zusehn, – unvergeßlich bleibt der schöne Abend des 6. August in der Gartenlaube des Cöllnschen Pfarrhauses, der stille Morgen des 7. August in Siebeneichen  und dem Blossen, der Anblick des prächtigen Dresdner Dampfschiffs Königin Maria, der Besuch des Coisin Albert Staube auf Proschwitz (207 Stufen von der Elbe herauf) und die Rückkehr durch den heiligen Grund, das bewegte Volksleben bei Musik und Gesang auf »Ernst's, die von bengalischem Feuer beleuchtete Dombergshöhe, manch freundlich blinkend Licht am Elbstrom bei nächtlicher Weile, die mit eisernen Gittern und Trottoirs versehene Elbbrücke usw. Doch vor allen denk ich der herzerhebenden geistlichen Musik in der Domkirche; an tausend Sänger trugen Psalmen vor; [Karl Gottlieb] Reissiger und [Friedrich] Schneider dirigierten ihre köstlichen Tonstücken selbst; die Königliche Kapelle stand bei; das ganze war sehr gelungen – ein wahrer Gottesdienst; unzählig das andächtig lauschende Publicum; - unvergeßlich Tags darauf der allgemeine Männergesang auf dem Marktplatze, dann der Sängerzug der von 15 Fahnen angeführt, sich durch Siebenichens reizende Anlagen über die Berge ins Trübischthal nach Buschbade begab, wo ich mein liebes Sommerhaus, und den, dahinter sich erhebenden Berg begierig aufsuchte, und den Götterfelsen mit dem neuen eisernen Afra-Kreuze [Auf dem Felsen befindet sich ein 1843 errichtetes eisernes Gipfelkreuz, das in lateinischer Inschrift an die Gründung der Landesschule St. Afra erinnert d.Ü.] bestieg. Endlich der letzte Abend, der mir in traulicher Unterredung mit dem guten Kyaw hinfloß, dessen vortrefflichen Character ich da recht kennen lernte.

Freitag, den 9., Morgens reiste ich über Oberau wieder (siehe die Beilagen) nach Leipzig ab, und fand da sogleich ein frohbewegtes Leben: der König sollte bald ankommen! Wie eilte ich da nach Wahren durch die mit Ehrenpforten, Flaggen, Kränzen und Guirlanden unbeschreiblich schön geschmückte Vorstadt, hinaus, an den zahlreichen (über 100) ländlichen Wagen und (200) Reitern vorüber, welche sich an den Festzug anschließen wollten! Im Wahrener Pfarrhause fand ich bereits meinen Schullehrer Herrn P. designatus [Ernst Christian] Oertel mit der Fahne und einigen Knaben und Mädchen sowie die Schule von Wiederitzsch mit P. M. Karl August Hermann Schmid und Schullehrer [Leberecht] Schulze, zu denen bald auch mit M. [Johann Gottlieb] Kunad und Schullehrer Sander die Schulen von Möckern, Gohlis und Eutritzsch kamen, so daß zuletzt eine ansehnliche Schaar von Schulkindern beiderlei Geschlechts versammelt war, die sich mit ihren Fahnen, Stäben und Kränzen gar schön und rührend ausnahm. Nach 12 Uhr zogen wir 4 Geistliche mit unseren Lehrern und Kindern hinaus auf die Höhe vor Wahren, wo unfern der Eisenbahn binnen wenigen Stunden ein gar zierlicher Ehrenbogen aufgebaut und mit der Georginenflor [Georgina, ein Daliengewächs d.Ü.] aus dem Pfarrgarten geschmückt worden war. Da lagerten sich die Kleinen zu beiden Seiten; es kamen immer mehr Erwachsene hinzu. Draußen hielten bereits eine 6spännige Postchaise [Halbe zweisitzige Kutsche ohne Thüren und Vorderwand, die für mit Extrapost Reisende auf der Poststation vorgehalten wurde d.Ü.] und ein Vierspänner zum Empfang des Königs. Diesen zu ehren und zu erfreuen, hatte ich, im Namen sämtlicher hiesiger Ortschaften unsere Gefühle bei diesem Wiedersehn dichterisch ausgesprochen, dieß Gedicht auf ein kunstvoll ausgeschnittenes weißes Blatt geschrieben, und in die das Monument über- und umpfangenden Glocken die Namen der vom König jetzt bereisten Länder und vornehmsten Oerter äußerlich, die Namen unserer Dörfer vor Leipzig inwendig verzeichnet; der Buchbinder Arnold hatte es in Glas und Rahmen sehr geschmackvoll gefaßt und so war ein sinniges Dankbild daraus geworden. Als nun unser Herr KreisDirector [Johann Paul] von Falkenstein es gelesen und mit seinem Beifalle beehrt hatte, empfing ich selbst von ihm Auftrag und Erlaubnis, es dem nahenden Fürsten mit einigen Worten zu überreichen. Ein paar Stunden fast währete es noch, ehe dieser ehrsehnte Augenblick kam. Endlich hielt der, von Braunschweig und Halle herkommende Extra-Zug; der gute Landesvater wurde beim Aussteigen von dem genannten Herrn KreisDirektor von Falkenstein und vom Obersten von Buttlar bewillkommt, u. näherte sich nun zu Fuße uns Geistlichen, die wir am Wagen standen, der den König weiterbringen sollte. Nun trat ich vor, und mit den Worten:

 

»Laß, guter König, dir ein ländliches Erinnerungszeichen

An diese unvergeßlich schönen Augenblicke reichen;

Die treuste Liebe hat es eingegeben

Das Wort, das Dank und Freude und Gebet ist für dein Leben.«

 

gab ich mein Bild in des Königs Hand, der mit Mund und Hand mir freundlich dankte, nach meinem und Herrnsdorfs Dorfe fragte, den Wagen bestieg, und unter dem Vivatrufen der Kinder durch ihre Reihen zur Chaussee hinabfuhr, wo seiner noch viele andere herzliche Feierlichkeiten harreten. Siehe die Beilage.

Unvergeßlich wird dieser Tag uns bleiben, da wir das Antlitz unseres guten Landesvaters so nahe gesehen, ihn nach langer Entfernung in Großbritannien; wo man ihn wie in Belgien, Niederlande und Deutschland allenthalben hochgeehrt hat, wohlbehalten wieder hier erblickten, und es ihm bezeugen durften, wie wir ihn lieben und das Vaterland. Gott segne den König!

(NB. Und 10 Jahre später verlor der geliebte König an demselben Tage Vor-Mittags nach 10 Uhr bei Imst in Tyrol durch einen unglücklichen Fall aus dem Wagen und Hufschlag von Postpferd gewaltsam das Leben!)

Die Ernte ist bei meist kühler, oft trüber Witterung glücklich gefördert worden, das gewonnene Korn sehr gehaltreich, und auch die übrige Getreidefrucht gut gerathen und gesegnet.

 

Den 12. Sonntag nach Trinitatis, als den 28 August wurde im nahen Städtchen Schkeuditz sehr festlich gefeiert zum Andenken an die vor 300 Jahren daselbst eingeführte Reformation. Man zog im Festzug zur Kirche durch die mit Guirlanden, Laubgewinde und Kränzen nebst Flaggen geschmückten Straßen, gab Nachmittags den Kindern der Stadt- und Landschule auf der nahen Wiese ein fröhlich Fest, und erleuchtete Abends nach Kräften die Stadt. Ich gedachte dieser nahen wichtigen Gedächtnisfeier in meiner Predigt und Kirchgebete, da auch in hiesiger Kirchfahrt seit jenen Tagen unzweifelhaft einst die Reformation Eingang fand.