Das Lützschenaer Storchenjahr hat begonnen
Wenn im Frühjahr so mancher Lützschenaer
mit überdehnter Halsmuskulatur durch´s Dorf
spaziert, kann man fast sicher sein, dass auf dem
Schornstein der Gärtnerei Gordelt wieder die
Störche siedeln. Da ist ja einiges zu beobachten
und zu hören: Turbulente Liebesspiele in aller
Öffentlichkeit,
heftige Storchenkämpfe zur Verteidigung
des Wohnrechtes gegen Fremdstörche, den
Rhythmus von An- und Abflug der Altvögel bei
der Fütterung ihres Nachwuchses und sowohl das
freudige Klappern bei der Begrüßung der Alten
untereinander als auch das abwehrende aggressive
Klappern bei der Horstverteidigung. Ja, klappern
und manchmal Zischgeräusche, mehr hat unser
Adebar diesbezüglich nicht drauf.
1991 stellte Gärtner Gordelt die Kohlebefeuerung
seiner Gewächshäuser auf Öl um und gestattete
1994 die Installation eines Kunstnestes für den
Weißstorch auf seinem nun nicht mehr benötigten
26 m hohen Schornstein. Die Anlockwirkung
muss groß gewesen sein, denn gleich im nächsten
Jahr wurde der Horst durch ein Paar angenommen.
Und 1996 gab´s die ersten zwei Lützschenaer
Jungstörche.
Seitdem wechseln Freud und Leid im Geschehen
um den Lützschenaer Storchenhorst, der mit dem
Horst in Knauthain einer von den zwei Horsten
im Stadtgebiet von Leipzig ist. Vielleicht ist
in diesem Jahr ein dritter Ansiedlungsversuch in
Plaußig erfolgreich? Erfreulich waren die Jahre
2001 und 2002, als sich zweimal hintereinander
stramme Vierlinge auf den Weg in den Süden
machten. Erfolgreiche Viererbruten sind unter
unseren Bedingungen nicht so oft, Fünferbruten
sehr selten. Da muss das Futterangebot an
Würmern, Insekten, Mäusen und Fröschen schon
recht günstig sein. Katastrophenjahre waren 2006,
2007 und 2009, 2010. 2006 überlebten die
beiden bereits beringten Jungvögel wahrscheinlich
aus Futtermangel
nicht. 2007 verendeten wieder zwei Kleine. Es grassierte ein tückischer
Pilz, der den Schlundbereich der Jungvögel befiel.
Und 2009 verunglückten
zwei der drei Jünglinge bei missglückten
Flugversuchen.
Manchmal sogar noch heute im Gespräch ist das Schicksal der berühmten
französischen Störchin „Madame“. Madame schlüpfte
1994
im französischen
Elsass, wurde 1995 dort beringt. 1998 tauchte sie am
Horst in Modelwitz auf und brütete dort regelmäßig.
2009 wechselte
sie zum
Leidwesen der Modelwitzer nach Lützschena. Mit ihrer Ringkennung
P2352-PARIS-FRANCE hat der flotte Vogel einen Hauch
von der Champs-Élysées in die Elsteraue gebracht.
Als Winterstorch
bei
Schnee und Eis galt sie als Besonderheit. Von BILD bis LVZ und
MDR – fast vierzig Notizen, Artikel oder
Fernsehbeiträge sind im Laufe
der Zeit über Madame erschienen. Als sie im August
2010 schwer
beinverletzt und geschwächt auf der Lützschenaer Flur gefunden wurde
und tierärztlich im 16. Lebensjahr eingeschläfert
werden musste,
widmete
ihr der Auenkurier einen denkwürdigen Nachruf.
Der sollte den künftigen Storchengenerationen
erspart bleiben. Hoffen
wir, dass hoch über dem Dorf eine möglichst
zahlreiche Sippe
von
strammen Jungvögeln heranwächst! Dazu sollten auch wir beitragen!!
Das Abbrennen von Feuerwerk und Knallkörpern in
einem
Umkreis von 1000
m vom besetzten Horst ist kein Kavaliersdelikt,
sondern wird als Ordnungswidrigkeit mit erheblichen
Geldbußen geahndet.
Der Weißstorch steht auf der Liste der bedrohten Vogelarten
in Sachsen. Außerdem ist er quasi „deutsches
Kulturgut“: Adebar der
Frühlingsbringer. Der Klapperstorch, der die Kinder
bringt. Die Geschichte
von Kalif Storch. In zahlreichen Sagen, Märchen oder
Fabeln
spielt unser
Storch eine tragende Rolle. Bei Knallereignissen verlassen
die Vögel fluchtartig ihren Horst. Bei Dunkelheit
können Hindernisse
wie
Freileitungen und Maste nicht erkannt werden. Es kommt
zu Kollisionen. Ein verlassenes Gelege kühlt sehr
schnell aus. Schon
nach zwei Stunden beginnt der Embryo abzusterben oder die frisch
geschlüpften Jungen zu verklammen.
Also, erfreuen Sie sich am Geschehen über
Lützschena. Das gibt´s in
Leipzig nicht so oft! Seien Sie „weise wie Gevatter
Storch“, - und unterlassen
Sie z. B. anlässlich des Geburtstages Ihres
Sprößlinges die
dabei
leider allzu oft fällige Knallerei.
Übrigens, wollen Sie in Echtzeit am Geschehen in
einem störchlichen
Haushalt samt Bruterfolg und Jungenaufzucht teilnehmen? Dann gehen
Sie unter dem Kennwort „Sachsenstorch“ ins Internet
und folgen
dem Pfad
sachsenstorch.de → Webcams → Storchennest Frohburg.
Die Auwaldstation beteiligt sich am
Artenschutzprogramm für den
Weißstorch mit dem Bau von Nisthilfen. Bei
Sicherungsarbeiten an
dem Schornstein in Frohburg musste der ursprüngliche Storchenhorst
entfernt und durch das Kunstnest der Auwaldstation
ersetzt werden.
Wir
haben offensichtlich gut geflochten und gebunden, denn der
Horst wurde sofort wieder besetzt. Eine
mitinstallierte Kamera gestattet
einen direkten Blick in Adebars Kinderstube.
Momentan werden
fünf
Eier bebrütet. Ob auch fünf Jungvögel groß werden? Überzeugen
Sie sich selbst.
Manfred Seifert