An dieser Stelle setzen
wir die Abschrift der Chronik mit dem Eintrag für den Monat September 1843
- vor 175 Jahren – fort:
1. September.
Mit der, seit
einigen Wochen anhaltend ausdauernden sonnig-luftigen Witterung, welche
das Erntewerk ungemein begünstigt (das neue Korn schockt [= hat viele
Körner d.Ü.] sehr, aber scheffelt [= sind nicht so groß d.Ü.] nicht so,
wie das vorige – mein Decem -Ausdrusch gab mir gerade 1 Scheffel weniger)
ist dieser Monat eingetreten, und fast sehnen wir uns nunmehr um der
Kartoffeln, welche in diesem Jahr vorzüglich gut und wohlschmeckend sind,
und anderer Herbstfrüchte willen, nach einem durchdringenden Regen, der
auch dem Grummet [Heu aus dem 2. oder 3. Schnitt d.Ü.] zu gute kommen
würde. – Ein Paar schöne romantische Mondscheinabende brachte ich mit den
Meinigen vorigen Monat in Wahren theils im Garten bei Domherr [Julius
Friedrich] Winzers, theils bei P. Herrnsdorf (dessen Englische Pensionärs
[Pensionsgästed.Ü.] ein Kartoffelschmäuschen gaben) zu, wo uns die
kunstfertigen Sängerinnen dieser Familie trefflich unterhielten.
Ein sehr
beklagenswerther Trauerfall in der Parochie hat dagegen den Monat August
beschlossen. Eine brave junge Ehefrau, Johanna Dorothea Kemnitz, geb.
Nietzschmann, ward den 24. vorigen Monats von einem Zwillingssohne, und
einen Tag nachher (wohl erst mit zu spät hinzugerufener Hülfe eines
geschickten Arztes, des Dr. Elze in Schkeuditz, der gleich Anfangs sehr
unwillig auf die Behandlungsweise des hiesigen Chirurgs Adam war) von
einem todten Kinde, auch einem Sohn, entbunden, schien sich zwar nach ein
Paar Tagen etwas zu erholen, starb dennoch schon den 29.; ward, da Dr.
Elze beim Leipziger Creisamte klagbar eingekommen war [= geklagt hatte
d.Ü.], gestern gerichtlich seciert (man fand eine Verletzung der
Gebärmutter), und Abends beim Läuten und Ariengesange (»Im Grabe ist
Ruh«), still begraben; ihr soll aber übermorgen (wo wir selbst
communiciren [= das Abendmahl empfangen d.Ü.] werden) Nachmittag in der
Hänicher Kirche eine Leichenpredigt gehalten werden, so wie vorher noch
ein 5 1/2jähriger Knabe daselbst mit Abdankung zu begraben ist. Bald
darauf werden wir abermals ein Paar Todescandidaten: unsern guten,
ehrwürdigen alten Vetter, Vater Peter Hase in Hänichen, und des Nachbar
Pötzsch daselbst langsiechende Gattin, zur Grabesruhe zu begleiten haben.
Reiche Ernte auf
dem doppelten Gefilde!
September, trat mit
schönem Wetter, kühlen und trüben Morgen, dann sonnigem Himmel, ein; doch
schüttelte am 4. und 5. ein heftiger Wind viel unreifes Obst von den
Bäumen leider ab.
5. September war
unser dießjähriger Fest-Convent in Leipzig, wo der Landprediger-Verein das
Glück hatte, auch seinen verehrten Ephorus, vom jüngst geendigten Landtage
(wo derselbe besonders durch Eingabe einer, auf Thatsachen gegründeten
Petition wegen. Ein- und Uebergriffe der sächsischen katholischen
Geistlichkeit großes Aufsehen gemacht hat) in seiner Mitte zu haben, und
manches erhebende Wort aus seinem Munde zuvernehmen. Tags zuvor hatte
derselbe eine sehr begeistert Predigt zum Constitutions-Feste gehalten.
10. September
Vater (Peter) Hase,
Senior der Hänicher Gemeinde, unser ehrwürdiger Vetter, ging an Mittwoch
Abend schlafen, und mir selbst war es vergönnt, ihn noch in seinen letzten
Stunden mit Wort und That beizustehen; heute ward er mit Leichenpredigt
und Abdankung begraben. Er war einer der Wenigen, die heutzu Tage
Nachmittags- und Wochengottesdienste besuchen. Frieden seinem Staube!
den 17. September
Nachdem ich heute
Nachmittag, dem 3. Sonntage hinter einander, die 3. Leichenpredigt
gehalten habe, will ich auch hier noch kürzlich meiner Festreise nach
Grimma vom 13. bis 16. hujus [=des laufenden (Monats) d.Ü.]
gedenken. Die alten und jungen ehemaligen Zöglinge der dasigen
Fürstenschule (welche in diesem Jahre auch ein 300 jährigen Jubelfest
hätte mit Pforta und Meissen feiern könnte, wäre sie nicht erst 7 Jahre
nach 1543 von Merseburg, wohin sie anfänglich von Churfürst Moritz,
gewiesen ward, nach Grimma in das ehemalige Augustiner-Kloster verlegt
worden wäre, und also ihr 3. Jubelfest erst 1850 anstellen könnte) waren
nämlich durch eine, in die Leipziger Zeitungen gedruckten lateinische
Invitation [= Einladungd.Ü.] zu einem frohen Erinnrungsfeste am 14. und 15
hujus [=des laufenden (Monats) d.Ü.] berufen worden; und siehe! über 130
Schüler hörten den Ruf der alma mater lat., »gütige, nährende Mutter«) =
Bezeichnung für die Universität, die wie eine Mutter für ihre Studenten
sorgt d.Ü.] mit Freude, und kamen, und zogen in die schön renovierte
Klosterkirche, dann in die aula scholastae item novae [=lat. neue Aula der
Schule d.Ü.] zum feierlichen Actus (wo der neue Rector, Prof. Eduard
Wunder wunderschön sprach), und auf die ehemaligen Gattersburg, und am 15.
im Festzuge, rauschende Musik voran, durch die Straßen der Stadt zum
fröhlichen Gastmahle auf dem Rathhaussaale.
Rührend war es, wie
Alt und Jung sich hier zusammenfand, der alten Zeiten gedachten, die alten
Freundschaften erneuerte, und an Grimmas reizenden Umgebungen sich
erquickte; Siebziger und selbst ein hoher Achziger, mehrere Jubelgreise,
und angesehene Männer nahmen an dieser harmlosen Gedächtnisfeier Theil,
die uns Allen unvergesslich bleibe wird. Ich nahm meine Frau und meine
Nichte Bertha mit nach Grimma zu meiner Schwester; die heiterste Witterung
begünstigte diese angenehme Reise; leider aber trocknete der anhaltende
Ostwind alles aus; auch haben sich in Kohl und Kraut viele Raupen
eingefunden die Grumeternte aber ist sehr günstig ausgefallen.
Erst mit dem 24.
September, dem Tage unser dießjähriges Erntedankfests, trat fruchtbare
Witterung, obgleich kalte, nach langer Trockenheit bei Ostwind, ein,
welche den Kraut- und Kartoffelfrüchten noch zu Gute kommt.
Am Abend des 26.
September wurden 2 Leichen hinter einanderher aus einer Stube, Mutter und
Tochter (vor 3 Wochen der alte Vater) zu Grabe still getragen, welche
binnen 9 Stunden nach kurzem Krankenlager an Ruhr und Entkräftung
gestorben waren.
Der letzteren
unehelichen Tochter, plötzlich ganz verwaist, folgte tiefgebeugt, den
beiden Särge. Doch waren die Verstorbenen als streitsüchtige Leute in der
Gemeinde nicht beliebt; sie hatten bis vor 1 Jahre das Jacobische, jetzt
Bauersch Gut in Pacht.