An dieser Stelle setzen wir die Abschrift der Chronik mit dem Eintrag für den Monat Mai 1842 - vor 175 Jahren – fort:
7. Mai Sonnabend
Endlich, endlich bringt der heutige Tag, worauf das Land längst geseufzt,
erqui-ckende Regengüsse, nachdem der vorige Monat meist trocken und bei
heftigem, den Staub immer ärger aufwühlenden Felder, Wiesen und Gärten immer
mehr aus-trocknenden Morgenwinde vergangen, des Wonnemonds erste Woche nicht
anders gestaltet gewesen war, also daß schon das Getreide bis 2 ½ Rt. zu
steigen begann. Allerdings überraschte uns ein Regensturm, als wir eben
eine Segensleiche [=Leichenbegängnis, bei dem der Geistliche nur den Segen
und die Grabliturgie am Grabe spricht d.Ü.] an der Chaussee abholten, so
daß Lehrer und Schüler sehr naß wurden; doch entschädigte uns auch wieder
der Anblick der prächtigen Kirschbaumblüthe auf dem Wege zum Gottesacker.
Fast wäre ich selbst verhindert worden, dieß Amtsgeschäft zu besorgen. Vorgestern
hatte ich nämlich nach schwe-rer Berufsarbeit (Amt (58 Communikanden) und
Predigt in Hänichen zum Himmel-fahrtsfeste) mich wohl ein wenig erkältet;
kurz, ich ward noch während der Nachmit-tagspredigt so heiser, daß ich die
Collecte und den Segen schnell abkürzen mußte, und wie nie, so unharmonisch
zu Ende krähete. Doch starke Transpiration hat mir so ziemlich wie-der zur
Genesung verholfen. Obendrein haben wir seit 8 Tagen die Maurer im Hau-se,
welche die untere Wohnstube, die vorigen Winter von Mäusen sehr heimgesucht
wurde, wieder schön hergestellt haben.
Morgen – einem mehrfachen wichtigen Gedächtnistage – einst dem Geburtstag
unsrer gnädigen Frau, da sie vor 9 Jahren das Schul-Legat stiftete, und
ich mit meiner Lina vor 11 Jahren getraut, und Herr SchulmeisterCandidat
[G. Wilhelm] Oertel vor 7 Jahren feierlich in sein Amt eingewiesen wurde,
erwartet mich auch eine besondere Freude. Herr Superintendent [Karl Friedrich]
Förster von Delitzsch, mein geliebter Jugendfreund, wird in Freiroda Kirchen-Visitation
halten und Nachmittags im herrschaftlichen Wagen anher geholt werden; dann
wird der Herr Baron von Speck einige Amtsbrüder usw. um ihn vereinigen,
und will ihn mir selbst auf das Nachtquartier, das ihm bei mir beschieden
war, abspenstig machen. Jedenfalls harren unser einige angenehme Stunden.
17. Mai
Der ehemalige 3. Pfingstfeiertag ist heute, und die Witterung ganz prächtig,
nur fast zu anhaltend trocken, die Baumwelt blüthenreich, Tulpen u.s.w.
aufgeblüht. Gestern brachten zwei Eisenbahnzüge über Tausend Leipziger anher.
So wohl wird es vielen Hamburgern in diesen festlichen Tagen nicht zu Muthe
gewesen seyn. In der Nacht zum Himmelfahrtstage ging nämlich im Kern der
Stadt Hamburg ein Feuer auf, welches, auf unerhörte Weise, drei Tage und
Nächte ununterbrochen fortbrannte und an 1200 Gebäude vernichtet hat, von
denen mehrere Paläste, Rathaus, alte Börse, usw. mit schweren Geschütz reingeschossen
oder mit Pulver in die Luft gesprengt werden mußten; auch 2 Kirchen mit
Glockenspielen wurden in Asche gelegt. Mit Zusendung von Hülfe und aller
Art in reicher Fülle usw. aus ganz Deutschland fast ward aber so schnell
den Abgebrannten beigesprungen, daß der Hohe Senat ihnen zuletzt gleichsam
hemmend in den Weg getreten für gut fand, und manche Aeußerung aus dem Munde
dasiger reicher Patrizier die willigen Spender milder Gaben (selbst aus
den niedrigen Volksklassen gesammelt) fast verletzend traf. Daher ward auch
bei uns gestern der Anfang mit einer, von der Gerichtsbehörde zuförderst
für Hamburgs-Abgebrannte in Anspruch genommenen BrandCollecte gemacht, doch
war man geneigter, dieselbe, wenigstens nach ihrem größten Ertrage, den
unglücklichen Abgebrannten in den vaterländischen Dörfern Ehrenfriedersdorf
bei Chemnitz (P.S. Zusammen sind reingekommen 15 Rt. 16 NGr. 3 Pf.) zuzuwenden.
Morgen versammeln sich die lieben stiftischen Amtsbrüder bei mir zum Jahres-Convent
unsres Partiale-Wittwen-Fiscus.
Unser Herr Baron hat mir bereits ein sehr schätzbares Werk über seine hiesige
Oe-konomie verehrt, welches er auch den stiftischen Schul-Inventarium unsres
Partial-Schullehrer-Vereins zugedacht hat, da sich in demselben manche heilsame
Andeutung für das heranwachsende Geschlecht befindet.
31. Mai
Endlich haben die letzten Tage dieses anhaltend trockenen Maimonds fruchtbare
Witterung gebracht, indem ein mehrmaliger Gewitterregen die lechzenden Felder,
Wiesen und Gärten erquickte. Und nun kann noch Alles recht gut werden, zumal
jetzt schon eine schöne Ernte, wenn der Herr sie behütet, heranreift.
Vorgestern, Dom. 1. post Trinitatem [1. Sonntag nach Trinitatis = 29. Mai
1842 d.Ü.], erbaute unser Herr Kirchenpatron abermals die Gemeinde nicht
wenig durch seine und der Seinigen (Fräulein Anna, Madame de Ville und der
Domestiken [=Dienstboten d.Ü.]) Theilnahme an der örtlichen Abendmahlsfeier
und vorgängigen allgemeinen Berichte. Die Herrschaft nimmt bei dieser Gelegenheit
auf den zur Seite des Altars gesetzten Stühlen Platz.