"Komm, wir gehen mal in´s Kino!"

Kino

Das war ein häufig gebrauchter Spruch als wir Kinder und Jugendliche waren und noch niemand ein "Filzlatschenkino", also ein Fernsehgerät in der Wohnung hatte. Und Kinos gab es reichlich, so dass man in unserer Nähe wählen konnte zwischen dem in Schkeuditz, denen in Wahren oder Möckern und – welcher Luxus! - dem im Lützschenaer Ortsteil Hänichen. Es befand sich in der Halleschen Straße 229 neben dem 1819 erbauten ehemaligen preußisch-sächsisches Zollhaus; später Grenzgasthof „Sächsisches Haus“. Grenzgasthof deshalb, weil wie vom Wiener Kongres1815 fest-gelegt die Landesgrenze zwischen Preußen und Sachsen nur wenige Schritte von hier verllief, die jetzige Stadtgrenze zu Schkeuditz bildend. Als am 01.01.1835 der Deutsche Zollverein unter Führung Preußens in Kraft trat zogen Studenten und progressive Bürger aus Leipzig in der Silvesternacht nach Hänichen zum Zollhaus, um diesen Schritt in Richtung zu Deutschlands wirtschaftlicher Einigung zu feiern. Es muss eine ähnliche Begeisterung geherrscht haben wie nach der Grenzöffnung 1989. Wegen seiner Bedeutung für die Geschichte der Ortschaft, aber auch seiner barocken Schönheit mit dem Walmdach, dem Mittelrisalit und den Gauben wurde das Haus in die Liste der Kulturdenkmale in Lützschena-Stahmeln aufgenommen. Trotzdem musste es vor wenigen Jahren abgerissen werden, weil seine Besitzer nicht in der Lage waren es zu erhalten, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestand.

Vermutlich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der "Concert- und Ballsaal" als Flachbau an der Westseite hinzugefügt. Mit dem Aufkommen der "bewegten Bilder", also des Films, wurde er umgebaut als Kino. Dieses nannte man auch spöttisch "die Holzoper", denn die Sitzreihen stiegen wie in einem Theater nach hinten an. In dem Vorbau an der Straße befand sich die Kasse. Sehr viel Geld ist hier bestimmt nicht geflossen, denn nach dem Krieg bezahlte man -,65 Pfennig Eintritt, Kinder nur -,30 Pfennig. Täglich gab es am Abend Vorstellungen, sonntags am nachmittag auch für Kinder. Werbefilme gab es zu der Zeit noch nicht, sondern nachdem der Kinogong ertönte wurde zuerst die Wochenschau „Der Augenzeuge“ gezeigt. Darin waren unter dem Motto „Sehen Sie selbst – hören Sie selbst – urteilen Sie selbst“ Nachrichten aus aller Welt zusammen gestellt, vergleichbar mit der Tagesschau im Fernsehen. Es folgte der Hauptfilm, meist in der Sowjetunion hergestellt. Wunderschöne Märchenfilme wie zum Beispiel das von der schönen Wassilissa wurden gespielt, weiterhin Naturfilme, in Farbe aufgenommen, und lustige Zeichentrickfilme. Noch heute wird ihre Qualität in Bezug auf ihren erzieherischen Gehalt, die Leistungen der Schauspieler und die technischen Leistungen gerühmt. Das ganze Gegenteil waren die Filme, welche Themen aus dem Bürgerkrieg in Sowjetrussland oder dem Zweiten Weltkrieg aufnahmen. Mitunter waren sie nicht in Deutsch synchronisiert, so dass man sich mit Untertiteln begnügte, besonders für die kleinen Kinder eine unüberwindbare Hürde. Solche Filme endeten oft mit einer Szene, wo die siegreichen Rotarmisten aus den Kämpfen heimziehen. Dazu erklang ein Marsch, welcher die Zuschauer anregte, selbst mit den Füßen im Takt aufzustampfen, dass man fast denken konnte, gleich würde das ganze Kino einstürzen.

Aber auch Produktionen der DDR-Filmgesellschaft DEFA (Deutsche Film AG, kurz DEFA) erfreuten sich teilweise großer Beliebtheit. Die DEFA drehte etwa 700 Spielfilme, 750 Animationsfilme sowie 2.250 Dokumentar- und Kurzfilme. Etwa 8.000 Filme wurden synchronisiert. Einer der erfolgreichsten Kinderfilme war „Die Geschichte vom kleinen Muck“, den man immer mal wieder im Fernsehen zeigt. Voll waren die Kinos, wenn ganze Schulen in das Kino geschickt wurden um sich den Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ von Kurt Mätzig anzuschauen. Genau so voll war es aber auch, wenn ein "Westfilm" im Programm war, z.B. der Streifen „Ich denke oft an Piroschka“ mit der beliebten Lieselotte Pulver.

Wann der letzte Film hier lief ist mir leider nicht bekannt. Vielleicht gibt es aber Zeitzeugen, die unserem Heimatverein dazu Auskunft geben können.
Text: Horst Pawlitzky
Foto: Ralf Liebegott