Hätten sie´s gewusst,

dass es in Lützschena Maulbeerbäume gibt? Zu unserer heimischen Flora gehören sie nicht, die Bäume der Weißen Maulbeere (Morus alba). Das ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Maul-beeren (Morus) innerhalb der Familie der Maulbeergewächse (Moraceae), die aus China stammen. Sie werden vielfältig genutzt, u.a. die Blätter der Schwarzen Maulbeere (Morus Nigra) als Futter für Seidenraupen, denn andere Nahrung verschmähen sie vehement. Die Chinesen waren es, die schon 3.000 Jahre v.u.Z.nachweislich die Zucht von Seidenaupen als Technik zur Gewinnung von Grund-stoffen für Textilien betrieben und so den Europäern auch an dieser Stelle weit voraus waren. Für sie waren die hiermit gewonnenen Seidenstoffe neben dem Porzellan ein gewinnbringendes Exportgut, das über die legendäre Seidenstraße auch nach Europa gelangte. Das weckte natürlich Begehrlichkeiten, so dass es nicht wundert, dass man den Chinesen das Geheimnis der Seidenher-stellung durch Verrat und Betrug entriss. In der Folge waren Italien und Frankreich in Europa vorherrschend in der Raupenzucht und Seidenherstellung im 13. und 14. Jahrhundert. Um von den Seidenimporten unabhängig zu werden ergriff der preußische König Friedrich II., genannt „Der Große“, die Initiative, indem er im 18. Jahrhundert Maulbeerbäume in Deutschland anbauen ließ. Das Projekt scheiterte jedoch am unzureichenden Wissen über die Seidenraupenzucht, dem deutschen Klima und dem hohen Arbeitsaufwand, der mit der Zucht verbunden ist.

An zwei Standorten in Lützschena gibt es Maulbeeräume. Einer befindet sich am früheren Schießstand an der Halleschen Straße, wo eine Reihenpflanzung von Weißen Maulbeerbäumen steht und fünf in der Straße Am Bildersaal direkt am Freigelände des Schulhorts. Sie fallen immer wieder dadurch auf, dass im Sommer ihre lilafarbenen Beeren auf den Gehweg fallen und dort hässliche Flecken verursachen, ebenso auf den Dächern hier geparkter Autos. Nur wenige Leute wissen, dass diese Früchte reich an gesunden Inhaltstoffen wie Vitaminen, Eisen, Calcium und Antioxidantien sind, recht gut schmecken und man aus ihnen Marmelade zubereiten kann. Es kann sein, dass der rührige Freiherr Maximilian Speck von Sternburg den Versuch unternahm, eine eigene Seidenraupenzucht aufzubauen. Seine Anregung dazu hat er vielleicht aus Süddeutschland bekommen, denn in seinem Werk "Landwirthschaftliche Beschreibung des Rittergutes Lützschena bei Leipzig...", erschienen 1842, schreibt er: "Im Großherzogtum Baden gibt es Schullehrer, die ihre Schulkinder im Wein-, Seiden-, Obst- und Getreideanbau unterrichten." Vielleicht hat er gedacht, wenn Schulkinder das können, dann kann ich es auch selbst machen. Die jetzt vorhandenen Bäume sind aber zu jung als dass sie zu seinen Lebzeiten gesetzt wurden. Außerdem eignen sich die Blätter der Weißen Maaulbeere nicht als Futter für Seidenraupen.

Um 1860 kam die Zucht zum Erliegen, weil Pebrinen, eine Fleckenkrankheit, zum Tod der Raupen führte, alle ihre Bestände vernichtete. Außerdem sind sie trotz ihres einfachen Aussehens sehr pflegeintensiv. Bei den Züchtern legt jeder der kleinen Schmetterlinge ca. 300 bis 700 Eier in Papierschachteln. Man bewahrte diese dann einige Zeit bei einer Temperatur von 0 - 1°C auf, wobei die Eier im Stadium der Überwinterung so lange verharren bis die Bäume wieder Blätter tragen. Bei langsam ansteigenden Temperaturen und nach 10 - 15 Tagen schlüpfen aus den 1 – 1,5 mm langen Eiern die Raupen. Zuerst muss man sie in kleine Pappschachteln geben, wo sie fünfmal am Tage, später dreimal mit den zarten, klein gehackten Trieben des Schwarzen Maulbeerbaums, ihrer einzigen Nahrung gefüttert werden. Bis zu einer Größe von 10 bis 15 mm werden sie so gehalten. Erst die ausgewachsenen Raupen sind in der Lage, die großen und voll ausgebildeten Blätter buchstäblich zu "fressen wie die Raupen". Für ihre Entwicklung muss der Raum, in dem die Seiden (bombyx mori) wachsen sollen, geeignet sein. Aller fünf bis sechs Tage müssen sie umgebettet werden, weil sie mehr Platz benötigen. Genügten für 30.000 Eier (Gewicht 33,2 g) noch ca. 4 m² Fläche für die Jungtiere, so wächst der Platzbedarf auf 40 m² wenn die Raupen kurz vor der Verpuppung stehen. Dazu häuteten sie sich aller 5 bis 6 Tage und die Reste der Haut bleiben auch liegen, genau wie Ihr Kot, denn wer viel frißt, der macht auch viel davon. Das alles muss entfernt werden, weil sonst der Geruch unerträglich wird. Nach der vierten und letzten Häutung , also nach drei Wochen, fressen sie sich noch einmal für 8 bis 9 Tage richtig satt, bevor sie daran gehen, sich einzuspinnen. Man bietet ihnen dazu Holzrahmen an, in denen ein Geflecht aus Reisig, Stroh oder Holz angebracht ist. In den Kokons sollte sich das Wunder vollziehen, nämlich die Metamorphose von einer Raupe zum Schmetterling. Das lässt man aber nicht geschehen, indem man die Kokons einsammelt und in heißes Wasser wirft. Dabei wird die Raupe im Innern getötet und der einzige Faden lässt sich leichter abwickeln, kann so zu Geweben verarbeitet werden.

Nach dem Ende des Krieges, als der Mangel an Textilien zur Suche nach Wegen aus dieser Misere zwang, wurde in der sowjetischen Besatzungszone und der jungen DDR die Zucht von Seidenraupen wieder aktuell. Jetzt ist sie nur noch eine Sache für Liebhaber bzw. wird in solchen Ländern wie Vietnam betrieben.

Text und Foto:
Horst Pawlitzky