Zuckerrüben und Braunkohle
Die Gegend nordwestlich von Leipzig, der heutige Kreis Nordsachsen, bot günstige Bedingungen für den Anbau von Zuckerrüben Als am Ende des 19. Jahrhunderts die industrielle Herstellung von Zucker aus Rüben immer stärker betrieben wurde, entstanden die ersten großen Zuckerfabriken, so auch 1889 in Delitzsch. Der Weg zum Ort der Verarbeitung der Rüben war also recht kurz. Für ihren Transport von den umliegenden Feldern waren damals einzig Pferdefuhrwerke in Gebrauch. Bei größeren Entfernungen war der Transport mit der Eisenbahn günstiger. Da fuhr man dann die Rüben zum nächstgelegenen Güterbahnhof um sie dort in Waggons zu verladen – eine schwere körperliche Arbeit, denn hierfür gab es noch keine technischen Hilfsmittel, sondern es musste geschaufelt werden, eine große Plackerei. Viele Bahnhöfe, so auch die in Schkeuditz oder Wahren hatten Gütergleise, an denen Rampen lagen, welche das Be- und Entladen erleichterten Es entsprach deshalb sicher nicht nur den Interessen der Delitzscher Zuckerfabrik, sondern auch der Bauern im früheren preußischen Kreis Delitzsch, dass das Gebiet durch eine Eisenbahn erschlossen wurde. Neben der Personenbeförderung ging es um den Transport von Gütern für die Landwirtschaft (Dünger, Saatgut, Baumaterial usw.), aber auch die landwirtschaftlichen Erzeugnisse an ihre Bestimmungsorte zu bringen, darunter in die Zuckerfabrik Delitzsch.
Begonnen wurde mit dem Bau einer Strecke von Krensitz bis Krostitz im Juli
1901. Sie zweigte von der Bahnstrecke Delitzsch – Eilenburg ab. Im Mai 1902
wurde hier der Personen- und der Güterverkehr aufgenommen. Im Jahr 1915
erfolgte eine Verlängerung von Krostitz bis Rackwitz, wobei eine Verbindung
mit der Hauptstrecke Delitzsch – Leipzig möglich war. Von Delitzsch-West
baute man 1928 eine Güterzugstrecke nach Zwochau. Erst 1929 begann hier
der Personenverkehr nach der Schließung der Lücke zwischen Zwochau und Rackwitz,
so dass ein Halbkreis entstand. Die Bahn mit einer Spurweite von 1.435 mm
(Normalspur) hatte am Ende die Länge von 37,3 km, trug im Kursbuch die Nummer
6915 und hieß ab 1927 „Delitzscher Kleinbahn AG“. Nach dem Krieg wurde sie
1949 in die Verwaltung der Deutschen Reichsbahn übergeben. Ihr Betrieb wurde
1973 eingestellt, später alle Gleisanlagen entfernt. Nur einige Bahndämme,
z.B. in Rackwitz oder Krostitz, erinnern an ihre Existenz. Auch sind noch
ein paar Bauwerke wie Bahnhöfe oder Güterschuppen erhalten.
Vielleicht hängt die Einstellung dieser Bahn damit zusammen, dass in dem
Gebiet nördlich von Leipzig große Braunkohlenvorkommen ausgebeutet werden
sollten.
Denn nicht lange, 1981 war der Beginn der Entwässerung des Gebietes und 1982 begann der Aufschluss des Tagebaus Breitenfeld. Erste Kohlezüge verließen 1986 die Grube in Richtung Leuna, Schkopau oder zu Kraftwerken in der Region. Dabei war gedacht, den Tagebau in nördlicher Richtung zu beginnen und dann westlich um Radefeld herum zu schwenken, so dass er am Ende bei Freiroda ausläuft. Wertvolle Ackerflächen würden so der Landwirtschaft entzogen. Das hätte auch bedeutet, dass die Autobahn A 14 nach Süden bis an die Eisenbahnlinie Leipzig – Halle verlegt werden müsste, so dass sie dann in größter Nähe zu der Ortschaft Lützschena-Stahmeln verlaufen würde. Der Schaufelradbagger SRs 6300, einer der größten Bagger seiner Bauart auf der Welt, wurde noch 1989 nordwestlich von Hayna montiert und für den Einsatz im Tagebau Breitenfeld vorbereitet. 1996 wurde er gesprengt, der Tagebau bereits 1991 geschlossen wurde. Eine Umsetzung an einen neuen Standort war unwirtschaftlich Am Ort seiner Montage jedoch, nordwestlich der Straße Radefeld – Wolteritz, wurden ein 17 m hohes und 120 t schweres Schaufelrad, ein Raupenfahrwerk und einige kleinere Baugruppen als Zeitzeugen aufgestellt
In der kurzen Zeit bis zur Schließung des Tagebaus wurden die Orte Schladitz und Lössen platt gemacht, Wolteritz sollte folgen und auch Breitenfeld war bedroht. Nach der Wende änderte sich die Situation, indem massive Proteste der Bevölkerung bewirkten, dass im Februar 1991 der Abraumbetrieb und im Juli 1991 die Kohleförderung eingestellt wurden. Das Restloch wurde geflutet und ist seit 2003 als Schladitzer See ein Naherholungsgebiet für Badegäste und Wassersportzentrum. Das war ein Glücksfall für Lützschena-Stahmeln, denn neben dem Lärm vom Flughafen wären auch noch der Verkehrslärm von der dann nahen Autobahn A 14 und der Krach aus dem Tagebau hier zu ertragen.
Waren es ökologische Gründe die zur Schließung des Tagebaus führten, so waren die Gründe für die Schließung der Zuckerfabrik Delitzsch ökonomische. Nach ihrem Wiederaufbau hatte die Fabrik 1971 ihre volle Leistung aufgenommen, wurde als „bester Betrieb“ der 42 DDR-Betriebe der Zucker produzierenden Industrie ausgezeichnet. In der Zeit von 1960 bis 1972 verarbeitete man im VEB Zuckerfabrik Delitzsch außerhalb der Zuckerrübenkampagne bis zu 20.000 Tonnen Rohrzucker aus Kuba. Anfang der 1980er Jahre war der Betrieb zum größten und modernsten seiner Branche in der DDR angewachsen. Nach der Wende wurde das Unternehmen von der Südzucker AG aufgekauft und in die Südzucker GmbH, Zeitz, umgewandelt. Das Werk wurde komplett modernisiert und restrukturiert. Im Jahr 1998 konnte man 7000 t Zuckerrüben pro Tag verarbeiten und insgesamt aus 555.000 t Zuckerrüben 48200 t Weißzucker gewinnen. Trotzdem - Ende 2000 stellte Südzucker den Betrieb ein, Teile des Werkes wurden abgerissen. Wer hier eine Ähnlichkeit mit dem Schicksal der Sternburg-Brauerei annimmt, der liegt sicher richtig.
Im Gegensatz zu Lützschena hat es aber in Delitzsch eine glückliche Wendung genommen. In einer gemeinsamen Arbeit der Technischen Werke Delitzsch (TWD, lokales Stadtwerk), der E.ON Thüringer Energie AG sowie der E.ON Energy Projects GmbH wurde auf dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik ein Biomassekraftwerk errichtet, das 2005 seinen Regelbetrieb aufnahm. Im Juli 2007 übernahm die Dalkia die Gesellschafteranteile, im Mai 2011 erfolgte die Übernahme durch die Danpower. Der jährliche Durchsatz an Altholz der Klassen A I - A IV beträgt rund 147.000 t. Daraus produziert das Biomassekraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 20 MW jährlich ca. 140.000 MWh "grünen" Strom. Dies entspricht in etwa einer Menge, mit der ca. 45.000 Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden können. Die energetische Nutzung nachwachsender Rohstoffe anstelle fossiler Energieträger trägt zur Reduzierung von CO2-Emissionen und somit aktiv zum Klimaschutz bei. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien anstelle von Braunkohle werden in Delitzsch jährlich ca. 92.000 t des klimaschädlichen Kohlendioxids eingespart – ein wirkungsvoller Beitrag zur Energiewende! Bleibt zu hoffen, dass ein ähnlich guter Wurf mit der Investruine und dem Schandfleck in Lützschena gelingt.
Horst Pawlitzky