Gunter Preuß/ August 2015
Stark gekürzter Auszug aus dem gleichnamigen Aufsatz von Gunter Preuß
Wer Angst hat, der kann sich totlachen
... Politiker dieses Landes – meist eifernd schönredend, präsente Probleme
nur zögerlich und oft unkundig anpackend, im Großen und Ganzen erschreckend
konzeptionslos, das Perpetuum mobile dem Selbstlauf in eine ungewisse Zukunft
überlassend – tummeln sich gerade in Bayreuth und führen bei Wagnerschen
Klängen den feinen Zwirn und die weiße Weste vor. Zur gleichen Zeit graben
sie im nachbarlichem Thüringen einem verdienten Orchester das Wasser ab.
Derart Kunstbanausen entblöden sich nicht, öffentlich zu fragen, was die
deutsche Kultur denn überhaupt sei? Bei solch pathologischer Selbstverleugnung
– oder ist es der Ausdruck beschämender Unbildung? – muss man die Frage
stellen, wo und wie all die Individuen aus dem zunehmend reißenden Strom
von Zuwanderern und um die nackte Existenz bangender Flüchtlinge neue Wurzeln
schlagen sollen? Die heimische Kultur, das Fundament ihrer Identität in
Not verlassen, der neuen Sprache meist nicht mächtig, sozusagen hineingeworfen
in ein flitterndes Nichts, suchen sie nun Rettung und ein besseres Dasein
in dem vermeintlichen Paradies. (Nach einer Legende aus den apokryphen Petrusakten
trifft der Apostel Petrus, aus Rom flüchtend, auf Christus. Und er fragt
ihn: „Wohin gehst du, Herr?“ Und Christus antwortet: „Nach Rom, um mich
erneut kreuzigen zu lassen.“)
Die derzeitige Politik, ich beschränke mich hier auf Deutschland, hat zurzeit
– ermöglicht durch eine starke Wirtschaft und eine ihrem Profit günstige
Weltlage – ein trumpfendes und bestechendes Argument in der Hand: Geld.
Wer das hat, stellt selten noch die Sinnfrage. Jahrzehntelang wurde zugesehen,
wie Deutschland immer mehr überaltert. Nach den Gründen dafür wurde im politischen
Tagesgeschäft und anhaltenden Machtgerangel nicht gefragt. Wie muss man
das nennen, wenn zur Auffrischung der eigenen Reihen die besten Köpfe aus
aller Welt, Facharbeiter und Spezialisten, die in der jeweiligen Heimat
existenziell von Bedeutung sind, eingekauft werden? Die Zyniker aus dem
Politikgeschäft würden das wohl Globalisierung titeln. Nun aber strömen
die Bedauernswertesten, die ewig Unterdrückten, Betrogenen und Erniedrigten
aus aller Welt – 60 Millionen sind auf der Flucht und Milliarden im Elend!
– in einer schwindelerregend kurzen Zeitspanne nach Deutschland und Europa!
Was soll hier wohl aus ihnen werden? ...
... Und die Politik schämt sich wieder einmal medienwirksam für die in der
Tat strikt zu verurteilenden Ausschreitungen gegen Flüchtlinge. Sie hätte
genauso Grund, sich für eigene Unterlassungen und Mittäterschaft zu schämen.
Nun tönen diese Strategen der Staatskunst von Verbieten und Wegsperren einer
in ihren Übergriffen schuldig zu sprechenden Minderheit, die wohl nur als
Spitze einen gewaltigen Eisberg signalisiert.
Wenn das Denken sich nicht ändert, wird auch das Tun sich nicht ändern.
Es gibt nur ein Mittel, das Schlimmste zu verhindern: Nicht mehr als Affe
mit den Muskeln spielen, sondern als vernunftbegabtes Tier (was immer noch
zu beweisen wäre) die Dinge neu überdenken, die Holzwege schleunigst verlassen
und weltweit miteinander – mit Freund und Feind – sprechen. Unsere Welt,
wenn sie nicht zusammenbrechen soll, benötigt brennend einen Umbruch. Sie
braucht den Zauber eines Neuanfangs. ...
... Auch für den Unbedarftesten müsste vorstellbar sein, welche Armada unlösbarer
Probleme hier auf die Fülle ungelöster Probleme stößt. Welch hochexplosiver
Sprengstoff da entsteht, der spätestens dann sich entzündet, wenn in Europa
– bei im System der Ordnung wurzelnder und ins Böse wachsender Ungleichheit
– der Brotkorb für die Volksmassen höher hängt. Die Devise ist: Alles wird
gut: Augen zu und durch! – Ja, aber wohin? Um das zu beantworten muss man
kein Prophet sein, dazu reicht allein der gesunde Menschenverstand: In die
nächste Katastrophe. Den hohnlachenden Heuchlern, die immer an uns verdienen,
ob im Frieden oder Krieg, ist es gleichgültig, wo und wie sie ihre Taschen
füllen. ...
... Sind die Alten also mit dem Alter feige geworden? Argumentieren die
Wenigen, die es überhaupt noch wagen, den Mund aufzumachen und denen keine
Kanzel zur Verfügung steht, tatsächlich nur aus Angst um sich selbst? (Und
was überhaupt nützt die Freiheit des Wortes, wenn das Gros der Medien der
vorgesagten Meinung dienstbar ist?! Eine sich auch in Grundsätzlichem kritisch
begreifende Presse ist, wenn nicht auf dem Friedhof des freien Journalismus
beerdigt, auf kurzstreckige und sackgassige Nebengleise relegiert.) Nun,
Angst müssen sie (und müssten alle) angesichts der deprimierenden Wirklichkeit
haben. Die Erkenntnis allein ist, wie kluge Köpfe einst erhofften, kein
Universalmittel gegen Beklemmungen aller Art, sie kann sie sogar verstärken.
Es bliebe das heilsame Lachen. Doch es will einem hierbei im Halse stecken
bleiben. Und wie schnell hat der Mensch, der als Einziger über diese Gottesgabe
verfügt, sich doch totgelacht. ...