Marienaltar wieder in Schloßkirche Lützschena


Lützschena besitzt zwei Kirchen, die Schloßkirche und die Hainkirche St. Vinzenz. Beide Kirchengebäude sind über 800 Jahre alt. Sie erfuhren im Laufe der Geschichte bauliche Veränderungen und auch Namensänderungen. Die Lützschenaer Kirche (Gotik, Epoche der westeuropäischen mittelalterlichen Kunst, seit Mitte 12.Jh. bis Anfang 16.Jh.) wurde in der Zeit des Machtbereichs der katholischen Kirche gebaut. In dieser Zeit wurde die Mutter Gottes, Maria, sehr verehrt. So ist anzunehmen, dass die Kirche als Marienkirche gebaut wurde, denn sie besaß einen Marienaltar. Jede Kirche hatte immer eine der Gottheit gewidmete geweihte Opferstätte (Altar), einen Tisch, auf dem Opfergaben dargebracht wurden. Der Tisch (Mensa) besteht aus dem Stipes (Unterbau des christlichen Altars) und der Altarplatte (eigentlich Mensa) und er erhielt später eine Verkleidung, (Antependium) aus Stoff oder Holz oder aus Metall. Seit dem 11.Jh. erhebt sich über der Mensa der Altaraufsatz (Retabel) mit bildlicher Darstellung. Daraus entstand in der Spätgotik der bemalte oder geschnitzte Flügelaltar mit dem Altarschrein zwischen meistens drehbaren Flügeln über einem Untersatz (Predella). Der Altarschrein mit mehreren Flügelpaaren heißt Wandelaltar. Der spätgotische Altar hat meist geschnitzte turmartige Aufbauten (Gesprenge). Seit Mitte des 14.Jh.fand die Malerei im Tafelbild eine neue Form. Die Holzbilddarstellung fand im Andachtsbild, später im Schnitzaltar ein Betätigungsfeld. Kunstwerke entstanden durch Veit Stoß (1448-1533, Marienaltar Krakau) und Tilman Riemenschneider (1460-1531, Jacobikirche Rothenburg ob der Tauber, 1501/04). Im 15.Jh.vollzog sich schließlich die äußere Loslösung zum beweglichen Tafelbild. Es erschienen Porträts und Darstellung der Körper mit weltlichem Charakter.
Die Entstehung des Marienaltars in der Lützschenaer Kirche fällt in die zweite Hälfte des 15.Jh. Seit 1404 war das Gut in Lützschena im Besitz der Familie von Üchtritz. Wahrscheinlich ist, dass diese Familie den Altar für die Kirche stiftete. Der Künstler des Altars ist bis jetzt nicht bekannt, auch die Werkstatt nicht. Im Jahr 1822 erwarb Maximilian Speck (1776- 1856), seit 1829 Freiherr Speck von Sternburg, das Lützschenaer Gut. Ein Jahr später ließ er das Innere der Kirche im klassizistischen Stil umgestalten. Anstelle des Flügelaltars ließ er einen Kanzelaltar aufstellen. Inzwischen war die Reformation (drängende Veränderung im 15./16.Jh. für Kirche und Gesellschaft) weitgehend vollzogen. Das christliche Gedankengut (Martin Luther, 1517) kam zu völlig anderen Ansichten, auch in Gestaltung der Kircheninnenräume. Jetzt sah man die Verbindung zwischen Gott und den gläubigen Menschen durch Prediger (Pfarrer), die den Sinn der christlichen Lehre in deutscher Sprache den Menschen näher bringen sollte. Speck von Sternburg ließ 1835 den Ostgiebel der Kirche neu verputzen und anlässlich des Geburtstages seiner Frau Charlotte geb. Hänel von Cronenthal (1787-1836) den Marienaltar aus der Kirche an der Ostseite außen an der Kirche anbringen. Obwohl der Altar eine kleine Überdachung gehabt haben mag, haben Wind, Regen und Sonneneinstrahlung der bemalten Schnitzarbeit aus Lindenholz nicht gut getan. Im Jahr 1855 erhielt der Leipziger Architekt Oskar Mothes (1828-1903) den Auftrag für einen Umbau der Kirche. Mothes war Mitglied der Deutschen Gesellschaft zu Erforschung vaterländischer Sprache und Alterthümer in Leipzig. So war es folgerichtig, dass der Marienaltar in Obhut dieser Gesellschaft kam. Eigentümer blieb weiterhin die Kirchgemeinde Lützschena. Dies wurde schriftlich am 14.September 1855 und nochmals am19.Mai 1857 juristisch festgehalten. In Kriegszeiten wurde der Marienaltar nicht beschädigt. Über das Kunsthistorische Institut der Universität Leipzig kam der Lützschenaer Flügelaltar 1947 in das Depot des Stadtgeschichtlichen Museums der Stadt Leipzig.
Die Kirche in Lützschena hieß im Volksmund Lützschenaer Kirche und sie erhielt erst am 11.Juli 1940 den Namen Schloßkirche. Unter diesem Namen erhielt sie Ende 1960/Anfang 1970 eine Grundsanierung. Die Leitung der Sanierung hatte der kirchliche Baupfleger Dr. Gerhart Pasch. Er und Generationen von Kirchvorstehern schon vorher wollten den Marienaltar wieder in der Lützschenaer Kirche haben. Aber alle Versuche und Anträge scheiterten aus unterschiedlichen Gründen. Im Sommer 2012 wurden unter Vermittlung von Herrn Wolf-Dietrich Freiherr von Sternburg Verhandlungen mit der Stadt Leipzig und dem Stadtgeschichtlichen Museum geführt. Im Mai 2013 fasste der Lützschenaer Kirchenvorstand einstimmig den Beschluss, dass der Flügelaltar wieder in die Schloßkirche zurückgeführt werden soll. Am 27.6.2013 konnte den Lützschenaer Bürgern ein Modell in Originalgröße des Altars vorgestellt werden. Alle zeigten sich begeistert. Durch Unterstützung des Vereins Kunstretter e.V. wurden Gelder für die Restaurierung gesammelt. Insgesamt kamen 68.000 Euro zusammen, diese wurden aber auch benötigt. Geld kam vom Land Sachsen, vertreten durch die Stadt Leipzig, vom Denkmalschutz, von Sparkassen, von der Sächsischen Landeskirche und von vielen privaten Spendern. Aber durch Geld allein kam der Altar nicht zurück. Viele Handlungen zur Organisation wurden getätigt durch Herrn Pfarrer Voigt und durch Herrn Steffen Berlich (Mitglied im Kirchenvorstand), durch die Herren Eberhard Jahn und Henry Kruschwitz aus der Kirchgemeinde Lützschena. Geld und Verhandlungsgeschick durch Herrn Wolf-Dietrich Freiherr von Sternburg, der sich wirklich zu Lützschena zugehörig fühlt und der die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen hatte, führten nun zum Gelingen des Projektes.
Aber damit war der Altar immer noch nicht in Lützschena. Der Verein Kunstretter e.V., zu dem die Restauratoren Frau Anke Annemarie Voigt, Frau Anke Noczinski und Herr Wilfried Sitte gehören, hatte viel zu tun, um Beschädigungen an Figuren und auch am Altarrahmen historisch getreu zu restaurieren. Um den Marienaltar (Wandelaltar) aufzustellen, waren Umbauten in der Kirche erforderlich.
Im Jahr 1823, als der Kanzelaltar in die Schlosskirche anstelle des Marienaltars eingebaut wurde, war auch der Stipes (Unterbau) für die Kanzel schon gebaut worden. Dieser musste nun im Mauerwerk erneuert und verputzt werden. Die Altarplatte besteht jetzt aus Sandstein und hat den gleichfarbigen grauen Ton wie der aus Travertin (poröser Kalkstein, Süßwasserkalk) bestehende Fußboden, der 1966 bei der letzten Großrenovierung der Kirche eingebaut worden ist. Darüber erhebt sich nun die von Herrn Wilfried Sitte neu errichtete Predella. Sie besteht aus hellem Holz, sie ist weit ausladend, um den Altarschrein (Retabel) zu tragen. Jetzt ist die Predella noch sehr hell und soll später farblich angepasst werden.
Alle Bürger aus Lützschena, aber auch alle Gemeindemitglieder der Sophienkirchgemeinde Leipzig (Lindenthal mit Breitenfeld, Lützschena, Möckern und Wahren mit Stahmeln) können stolz sein, so ein Kunstwerk zu besitzen. Dieser mehr als 500 Jahre alte Marienaltar hat eine so interessante wechselvolle Geschichte erlebt und findet nun nach 160 Jahren Abwesenheit von seiner Heimstatt wieder an seinen ursprünglichen Ort zurück. Ab 28.Juni 2015 (feierliche Weihe des gotischen Altars) ist der Marienaltar in der Schloßkirche Lützschena von allen zu bewundern.
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