Otto von Bismarck wieder im Turm von Lützschena
Nun ist der Bismarck endlich wieder im Turm, es hat lange gedauert, bis man
ihn jetzt zu sehen bekommt. Die große Bronzebüste, die auf einem hohen Podest
stand und den ehemaligen Reichskanzler Bismarck darstellte, füllte die Baunische
an der nördlichen Wand in der Gedächtnishalle im Erdgeschoss des Turmes aus.
So zeigen das alte Fotografien bzw. Zeichnungen, die dem jetzigen Bismarckturm-Verein
zur Verfügung standen. Sehr gewaltig muss der Bismarck damals auf die Besucher
des Turmes gewirkt haben. Alle mussten zu ihm aufschauen, so soll es wohl
beabsichtigt gewesen sein. Denn Bismarck wurde ab Mitte des 19. Jh. in Deutschland
sehr verehrt, da er als der Schmied der deutschen Einheit galt. Er hatte alle
Länder und Kleinstaaten, einzelne Städte, es sollen etwa 31 gewesen sein,
zu einem Land unter dem Namen Deutsches Reich unter Kaiser Wilhelm I. vereint.
Mit der Reichsgründung 1871 (Deutsches Reich 1871-1918) gab es keine Grenzen
mehr, keinen Zoll, die Zeitzonen verschwanden, eine einheitliche Währung hatte
jetzt Gültigkeit. Die Zeit ab Mitte des 19. Jahrhunderts zeigte eine stürmische
Entwicklung in Naturwissenschaft und Technik. Die Industrialisierung auf der
Welt wurde absehbar und das deutsche Land wurde zu einem National- und Industriestaat.
Das führte aber auch zu Veränderung der Lebens- und Denkweise vieler Menschen.
Der Einfluss der Sozialdemokratie auf die arbeitenden Menschen nahm ständig
zu und bedrohte die Vorherrschaft des Kaiserhauses und seiner Getreuen. Auf
Initiative Bismarcks erfolgte ein Ausnahmegesetz (Sozialistengesetz 1878/90)
gegen die Arbeiterbewegungen. Das Gesetz verbot die Partei sowie alle sozialdemokratischen
Vereine. Dennoch suchte Bismarck die preußische Großmachtpolitik den ökonomischen
Bedingungen anzupassen. Infolge dieses Umdenkens wurde von Bismarck das deutsche
sozialversicherungsrechtliche Solidarsystem eingeführt. Als erste Leistung
aus dem Bereich der Sozialversicherungen wurde das Gesetz für die einheitliche
Krankenversicherung für die arbeitenden Menschen am 15.06.1883 verabschiedet
und trat am 01.12.1884 in Kraft. Am 22.07.1889 wurde das Gesetz zur Invaliditäts-
und Alterssicherung der Arbeiter verabschiedet. Die Arbeitslosenversicherung
gab es erst 1927. In dieser turbulenten Zeit wurde Bismarck immer verehrt.
Bismarck wurde am 01.04.1815 als Sohn eines preußischen Landedelmannes auf
Gut Schönhausen an der Elbe in der Altmark, nahe Magdeburg, geboren. Sehr
groß wurde Bismarcks 80.Geburtstag 1895 gefeiert. Kaiser .Wilhelm I. (1797-1888),
König von Preußen 1861-1888, Deutscher Kaiser 1871-1888, war Bismarck sehr
gewogen. Er schenkte 1871 Bismarck den Sachsenwald mit Schloss Friedrichsruh
bei Hamburg. Nach Wilhelms I. Tod 1888 regierte dessen Enkel Wilhelm II. (1859-1941)
von 1888 -1918. Dieser letzte deutsche Kaiser und König zwang Bismarck 1890
zum Rücktritt. Bismarck sah das voraus und reichte zeitgleich sein Rücktrittsgesuch
ein. Das deutsche Volk hat das nicht ganz eingesehen. Die Verehrung für Bismarck
blieb. Am 30.07.1898 verstarb Bismarck auf seinem Alterssitz Schloss Friedrichsruh
bei Hamburg. Das Land trauerte über den Tod Bismarcks. Am 03.12.1898 erging
von der Deutschen Studentenschaft an die Bevölkerung ein Aufruf, überall in
Deutschland Bismarck-Denkmäler zu errichten. Der Plan sah vor, bis zum 01.04.1915
, dem100.Geburtstag Bismarcks, viele Denkmale und vor allem Türme zu bauen,
von denen über das Land, welches jetzt ein einheitliches Deutschland war,
geschaut werden könnte. Ab 1898, einzeln schon früher, wurden in vielen Städten,
meist am Stadtrand, auf einer natürlichen Erhebung Bismarcktürme errichtet.
Geplant waren 400 Turmbauten. In Deutschland, Österreich, Frankreich, Polen,
Tschechien, Russland, Kamerun und Chile stehen insgesamt 173 Bismarcktürme
und Bismarcksäulen, 97 Denkmäler unterschiedlicher Art erinnern in Deutschland
an Bismarck.
Auch in Leipzig hielt die Bismarck-Verehrung Einzug. Im Jahr 1910 rief der
Leipziger Bürger und Großkaufmann im Pelzhandel Otto Erler die Bevölkerung
auf, einen Bismarckturm zu errichten und diesen am 100.Geburtstag von Bismarck,
also am 01.04.1915, einzuweihen. Erler stiftete kostenfrei den Baugrund in
Hänichen, jetzt Ortsteil in Lützschena, (1929 vereinigten sich Quasnitz, Hänichen
und Lützschena zu der Gemeinde Lützschena) und veranlasste die Aufschüttung
des Hügels. Außerdem spendete er eine beachtliche Geldsumme für das Bauwerk.
Im September 1913 wurde der Bismarck-Turm-Verein gegründet. Er organisierte
den Bau und sammelte Geld für das Vorhaben. Pharmazierat Wilhelm Schwabe stiftete
das Geld für die Bronzebüste Bismarcks. Durch einen preisgekrönten Entwurf
des Architekten Hermann Kunze und durch die Baufirma Max Pommer in Leipzig
konnte der Bau mit regionaltypischen Baumaterialien Sand und Kies und Granit
fertiggestellt werden. Am 01.04.1915, an einem schönen Frühlingstag, fand
die feierliche Eröffnung des Turmes statt. Der Turm wurde vom damaligen Oberbürgermeister
Dr. Dittrich in Schutz und Pflege genommen, so bedeutsam war die neue Errungenschaft
für die Stadt Leipzig, obwohl der Turm im Ort Hänichen stand. Nach dem 2.Weltkrieg
erfuhr der Turm erhebliche Schäden. Die bereits beschriebene Bismarck-Darstellung
(Büste auf Marmorsockel) ist bis jetzt verschwunden.
Seit 1997 arbeiteten die Mitglieder des heutigen Bismarck-Turm-Vereins kontinuierlich
an der Restaurierung und Verschönerung des Bismarckturmes. Aber die Skulptur
des Bismarcks fehlte. Ab 2007 befasste sich ein Arbeitsgremium im Verein mit
den Realisierungsmöglichkeiten zur Errichtung einer neuen Skulptur, die an
Bismarck erinnern sollte. Eine Kopie des alten Denkmals war nicht vorgesehen,
es sollte ein neuzeitliches Denkmal werden. Mit der inhaltlichen und praktischen
Gestaltung dieses Denkmals wurde der Bildhauer Dietmar Lenz aus Leipzig betraut.
Von Anfang an beschäftigte sich der Künstler mit der Person Bismarcks. Vom
Künstler und Mitgliedern des Vereins wurden viele Ideen entwickelt. Im Jahr
2014 konnte der Künstler den endgültigen Entwurf für das Denkmal den Mitgliedern
des Vereins vorstellen. Der Bismarckturm-Verein mit seinen Mitgliedern entwickelte
große Aktivitäten zum Erwerb der finanziellen Mittel zur Errichtung des Denkmals.
Anfang 2015 hatte Herr Lenz die Skulptur zur Erinnerung an Bismarck vollendet.
Sie sollte am 01.04.2015, am 200.Geburtstag Bismarcks und am 100.Tag der Weihe
des Bismarckturmes in Lützschena aufgestellt werden.
Zuvor musste eine umfangreiche Restaurierung der Gedächtnishalle im Erdgeschoss
des Turmes vollbracht werden, was auf die große Initiative der stellvertretenden
Vorsitzenden des Vereins, Frau Christiane Schneider, auch rechtzeitig gelang.
Vor allem erfolgte jetzt eine gründliche Säuberung des gesamten Turmes. Von
oben bis unten wurde der Turm von Staub befreit. Die Wände in der Gedächtnishalle
im Erdgeschoss wurden mit einer frischen lichtgrauen Farbe versehen. Die Nische
an der Nordwand des Turmes in der Halle bedurfte besonderer Reinigung, denn
die reichverzierte Muschelkrönung im Oberteil der Nische wurde das erste Mal
nach 100 Jahren gründlich ausgewaschen. So war die Gedächtnishalle aufnahmebereit
für die neue Bismarck-Büste. Da die Nische aber für eine Büste allein als
zu gewaltig erscheint, hat der Künstler eine mattierte Glastafel mit den Namen
der Länder, die durch Bismarck zum Deutschen Reich vereint wurden, hinter
dem Kopf von Bismarck angebracht. Tafel und Büste stehen auf einer Stele aus
Betonwerkstein, der durch Zusatz von zerkleinertem farbigen Naturstein mittelgrau
und leicht gesprenkelt erscheint. Diese Stele ist mit dem Schriftzug Bismarcks
versehen. Die Stele trägt somit Kopf und Glastafel. Bewerkstelligt wurde die
350 kg schwere Stele durch die Firma Zindler Betonsteinbau. Mit dieser Firma
hat der Künstler von Anfang an gearbeitet. Wie der Turm selbst sollte auch
die neue Bismarck-Büste aus regionalem Baumaterial sein. Auch der Kopf Bismarcks
ist nach Gestaltung durch den Künstler aus Gussbeton.
Jahrelang durch die Vereinsmitglieder gesammelte Spenden und durch Sponsoren
und durch die Unterstützung des Ortschaftsrates Lützschena-Stahmeln (am 01.Januar
1994 schlossen sich die Gemeinden Lützschena und Stahmeln zusammen) konnte
die notwendige Summe von fast 7.000 Euro aufgebracht werden. In der Halle
konnten 4 große Übersichtstafeln mit den Lebens- und Arbeitszielen Bismarcks
installiert werden.
Am 01.04.2015 um 18 Uhr erfolgte die feierliche Einweihung der neuen Bismarckbüste,
organisiert durch den Bismarckturm-Verein in Anwesenheit des Künstlers Dietmar
Lenz. Die Vorsitzende des Vereins, Frau Kerstin Hillmann, entfernte gemeinsam
mit dem Künstler das Verhüllungstuch von dem neuen Kunstwerk. Die anwesenden
Gäste empfanden sofort eine menschliche Nähe zu diesem Bismarck, zu dem man
nicht mehr bewundernd aufsehen muss, sondern man kann ihm in Augenhöhe begegnen.
Alle fanden die Feierstunde als gelungen. Von den geladenen Gästen der Stadt
Leipzig war Herr Dr. Scholz vom Kulturamt gekommen, sonst niemand, auch von
der Denkmalpflege kam niemand. Sicher war dieses Ereignis bedeutungslos in
der 1000-jährigen Geschichte der Stadt Leipzig. Leipzig will größer feiern.
Das große Stadtgebiet Lützschena-Stahmeln gehört seit 1999 zur Stadt Leipzig.
Obwohl sich unter anderen Gewerken die Firma Porsche hier ansiedelte, ist
für Leipziger Regierende dieser Stadtteil trotzdem noch nicht interessant
genug, um ein Denkmal und eine neue Errungenschaft für dieses in diesem Stadtteil
zu würdigen.
aneu