Wie schwer wiegt eine „Null“?

An jeder Ecke begegnen uns in diesen Tagen die Feierlichkeiten zur 1000 Jahrfeier von Leipzig. Die Stadt feiert das „Längste Bürgerfest“ aller Zeiten und wir, der KGV „Stahmeln 209 e. V., schließen uns mit 100 Jahren daran an, denn eigentlich fehlt uns ja nur eine „Null“ um gleichzuziehen, oder?

Eigentlich ist eine 0 nichts, zumindest für sich allein betrachtet. Auch in unserer Gesellschaft gibt es ausreichend Nullen, also Leute, die nichts bewegen und zu nichts zu gebrauchen sind. Eine Null ist aber kein gewöhnliches Nichts. Es ist ein Nichts, das sich seiner Unentbehrlichkeit bewusst ist. Entscheidend ist aber wohl, wo die Nullen stehen, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Mathematik, also möglichst hinten. Eben hinter den Aktiven, der 1 oder dem Komma. Aber bleiben wir zunächst bei der mathematischen Null. Wer ein einjähriges Jubiläum feiern kann, hat wohl die schwerste Hürde hinter sich. Wer sich schon 10 Jahre durch das Leben geschlagen hat, als Unternehmen oder als Persönlichkeit, hat schon eine gewisse Dauerhaftigkeit nachgewiesen. Aber 100 Jahre stehen schon für eine bedeutende Geschichte mit einer Vielfalt von Ereignissen, die bis in die heutige Zeit reichen. Eine Geschichte, die auch unseren Gartenverein Stahmeln 209 e.V. geprägt hat.


U nser Ehrenmitglied Fritz W. † konnte uns spannende Geschichten aus seiner langjährigen Gartenmitgliedschaft berichten. Seine Eltern gehörten zu den Gründern bei der Urbarmachung des Grabelandes, und das war vor 100 Jahren. Damals war noch ein Teil der Fläche Sandgrube und daneben wurden Kartoffeln angebaut und Apfelbäume gepflanzt. Auch ein Kleingewerbe sowie ein Fuhrbetrieb teilten sich mit den Gärtnern das Gelände.
Fritz W. begann schon im jungen Alter von 14 Jahren seinen eigenen Garten zu bewirtschaften. Damals war der Hunger Antrieb zum Gärtnern. Zu DDR Zeiten war für jeden Gärtner der Kleingarten sein „Klein Paris“, wohin er am Wochenende und im Urlaub verreiste und aus den Zwängen des Alltags auswich und außerdem noch Geld machen konnte. Auch heute gewinnt der Garten nach der Wende langsam wieder an Bedeutung, wobei die Gründe inzwischen wohl anders gelagert sind. Entstanden ist aber unser Verein ursprünglich aus dem Bau der 1. Gartenlaube auf diesem Territorium vor 100 Jahren – ein Jubiläum, das wir in diesem Jahr feiern werden. Natürlich wollen wir uns nicht mit der Stadt Leipzig messen, aber wir haben ja noch anderes zu bieten: Wir feiern in diesem Jahr auch das 85-jährige Bestehen unseres Vereins. 1930 entstand hier der erste Kleingartenverein, zwar unter anderem Namen, aber der Charakter „Kleingartenverein“ ist erhalten geblieben.
Wie bereits gesagt, der Kleingarten gewinnt wieder an Bedeutung. Der Spaß an der Freude steht heute mehr im Vordergrund. Und wer richtiges Biogemüse essen will, kommt wohl an einem Kleingarten kaum vorbei. Zudem ist ein Kleingarten preiswerter als jede Aktivität außerhalb der Wohnung.
Deshalb schätzen wir auch das gesellige Miteinander in unserem Vereinshaus, welches wir nun dieses Jahr richtig strapazieren werden. Dazu reicht uns auch eine 100, eine Null mehr wäre uns zu weit weg und auch auf andere Nullen verzichten wir hier vollends, denn mit „Null-Ahnung“ und „Null-Bock“ lässt sich im Garten nichts bewegen. Wir befinden uns hier noch voll im analogen Betrieb, mit digitaler Monokultur lässt keine Nutzpflanze mit sich reden. Aber wir Alten wissen auch: Aus mancher Null kann man noch etwas machen. Und so wollen wir auf keine 0 verzichten, denn in 5 Jahren werden wir 90. Wieder eine Null, die uns mehr bedeutet als nichts. Auch gibt es mehr als 100 gute Gründe, mit uns zu feiern.

Rainer Dünhaupt