Alle Stühle in der Auwaldstation waren besetzt, als am 16. April der Bürgermeister Heiko Rosenthal den 18. „Tag des Leipziger Auwaldes“ eröffnete. In seinen einführenden Worten betonte er die Einzigartigkeit dieses Ökosystems inmitten der Großstadt Leipzig, die mit ihrem Auwald ein wertvolles Naturerbe besitzt. Dieses ins Bewusstsein der Bürger zu bringen und sie zu ihrem Schutz zu bewegen ist der „Tag des Leipziger Auwaldes“, der 1994 ins Leben gerufen wurde. Am Ende seiner Ausführungen verkündete er, dass die Stieleiche (Quercus robur) zur Leipziger Auwaldpflanze des Jahres 2012 gewählt wurde.
Seinen Namen hat der Baum, der eine Wuchshöhe von 50 bis 60 m erreicht und
bis zu 1.400 Jahre alt werden kann, von den etwa 7 cm langen Stielen, an
den sich die Eicheln befinden. Im Gegensatz zu anderen Baumarten lassen
sich in seiner Krone bis zu 1.000 Insektenarten finden, darunter über 100
Schmetterlings- und Käferarten. Selbst abgestorbene Stieleichen sind Lebensraum
für einige Tier- und Pflanzenarten. Ihre Früchte, die Eicheln, dienten in
der Vergangenheit der Mast von Schweinen, in Notzeiten aber auch als Nahrung
für Menschen. So kann ich mich gut erinnern, dass eine Nachbarin nach dem
Krieg eine Art Bienenstich buk, bei der sie geraspelte Eicheln als Ersatz
für Mandeln verwendete. Das harte und schwere Holz der Eiche ist gegenüber
Wasser beständig, weshalb es gern für die Herstellung von Fässern verwendet
wird, welche für die Herstellung und Lagerung von Wein bestens geeignet
sind. Selbst der Leipziger Hauptbahnhof steht auf Eichenpfählen, ohne die
er in dem Schwemmsand an seinem Standort versinken würde. Eichenholz wird
nicht nur für die Produktion von Möbeln und Parkett verwendet, sondern dient
auch als Brennholz.
Die Stieleiche ist im Hartholzauwald der bestimmende Baum, widerstand den
Hochwässern in der Vergangenheit erfolgreich, hat aber als Jungpflanze einen
höheren Lichtbedarf als andere Baumarten. Letzteres ist einer der Gründe
dafür, dass die Stieleiche von anderen Baumarten verdrängt wurde und ihr
Bestand in unserem Auwald drastisch gesunken ist. Betrug er um 1870 noch
fast 70 %, so ist er heute bei mageren 20 % angekommen. Würde man den Auwald
sich selbst überlassen, dann käme es zum vollständigen Verschwinden der
Stieleiche. Das Ziel der Forstleute ist es daher, durch gezielte Maßnahmen
ihren Bestand in Zukunft auf 40 % zu erhöhen. Das geschieht, indem so genannte
Femellöcher von 30 bis 50 m Durchmesser an ausgewählten Stellen geschlagen
werden, von manchen vermeintlichen Naturschützern als Frevel betrachtet.
Auf diesen Flächen ist jedoch gesichert, dass die Jungbäume das nötige Licht
erhalten und zu stattlichen Eichen heranwachsen können.
Es ist zu einer schönen Tradition geworden, dass der Lützschenaer Künstler
Harald Schönzart Kupferstiche zu den Auwaldpflanzen und –tieren eines jeden
Jahres anfertigt, also auch 2012. Das Kunstwerk zeigt den Baum in seinem
Sommer- und Winterkleid, die Blüten- und Fruchtstände sowie die Form des
Blattes, welches im Gegensatz zur Traubeneiche ohne Stiel an dem Zweig sitzt.
Begleitet wurde die Veranstaltung durch verschiedene Fachvorträge und eine
Exkursion in
unseren Schlosspark. Gegenstand des Interesses war natürlich auch die Auwaldpflanze
2012. Nun hoffe ich, dass auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich bei
Ihren Ausflügen in unseren schönen Auwald und den Schlosspark nach der Stieleiche
umsehen.
Horst Pawlitzky