Winterdienst am Ablaufberg
Ging man vor einigen Jahren von der Straßenbahnhaltestelle Stahmeln an der Schule vorbei und den anschließenden Feldweg in nördlicher Richtung, dann stieß man auf den Rangierbahnhof Leipzig-Wahren und seinen „Südberg“, einen Ablaufberg. Er hieß sicher so, weil er im Süden des Geländes lag, denn einen Nordberg gab es nicht. Dort wurden die Güterzüge, welche aus verschiedenen Richtungen ankamen und – sofern sie nicht aus Waggons bestanden, die geschlossen zu einem Zielbahnhof weiterfahren sollten – aufgelöst und zu neuen Zügen zusammengestellt, die zu einem bestimmten Bahnhof weiterfuhren.
Dabei wurden die Züge über einen Ablaufberg („Eselsrücken“) gedrückt. Vorher
mussten die Bremsen gelöst, die Waggons von Rangierern entkuppelt und dann
notiert werden, wohin man sie zu schicken hat. Danach konnte eine Lok den
so vorbereiteten Zug den Ablaufberg hinaufdrücken. Hatte nun ein Waggon
dessen Scheitel überschritten, dann rollte er ohne Antrieb weiter. Nun galt
es im Stellwerk die Weichen so zu stellen, dass er genau in das für ihn
bestimmte Richtungsgleis gelangte. Mehrere Richtungsgleise waren so angeordnet,
dass man auch von einer Gleisharfe sprach. Damit die Waggons dort nicht
zu sehr aufeinander prallten hatten die dort eingesetzten Rangierer Hemmschuhe
zu legen und sorgten so für moderate Geschwindigkeiten. Eine sehr gefährliche
Arbeit, die heute von mechanischen Gleisbremsen erledigt wird. Das Aneinanderstoßen
der Wagen und die Durchsagen des Rangierleiters über Lautsprecher waren
in der ganzen Ortschaft zu hören, so dass es massive Beschwerden der Anwohner
gab. Nachdem die Wagen in ihrem Richtungsgleis versammelt waren wurden sie
wieder gekuppelt, die Bremsprobe durchgeführt und die Weiterreise konnte
beginnen. Einzig Waggons, die eine empfindliche oder gefährliche Ladung
hatten, konnten nicht über den Ablaufberg geschickt werden
Die Arbeit der Rangierer wurde im Winter durch hohen Schnee behindert. Deshalb gab es für den VEB Drehmaschinenwerk Leipzig die Verpflichtung, bei solchen Situationen Arbeits-kräfte abzustellen, die die Wege an den Gleisen von Schnee freischaufelten. Meist handelte es sich um Personal aus den die Produktion vorbereitenden und Verwaltungsabteilungen, denn auch hier durfte der Arbeitsprozess nicht gestört werden. Ihr Einsatz half so, dass der Güter-verkehr nicht ins Stocken geriet. Das ist heute nicht mehr möglich, so dass die Bahn im Blick auf den kommenden Winter ankündigte, eine größere Zahl von Weichen mit Heizungen nachzurüsten und zusätzliche 4.000 Arbeitskräfte für den Winterdienst bereit zu halten.
Heute gibt es den Rangierbahnhof in Wahren nicht mehr. An das Bahnbetriebswerk
erinnern nur noch Teile des Lokschuppens und die beiden Wassertürme. Auf
einem Teil seines Geländes befindet sich das KLV-Terminal (KLV = kombinierter
Ladungsverkehr) der DB AG, wo die Container von Lkw auf die Schiene geladen
werden oder umgekehrt. Und dort, wo einst der Ablaufberg lag und sich die
Richtungsgleise verzweigten, da verläuft die Strecke der S-Bahn von Leipzig
nach Halle, donnern Güterzüge entlang bzw. es breiten sich große Brachflächen
aus.
Horst Pawlitzky