Da die Chronik für den November 1860 keinen Eintrag enthält, fügen wir an dieser Stelle den Oktober von 1840 ein:
5. Nov. Mit ein Paar milden u. freundlichen Tagen endete der October, ebenso trat der gegenwärt. Monat ein. Nicht so in der Menschenwelt! Denn erstlich raubte ein unerwarteter Tod dem Hänicher Gemeindevorsteher u. Müller Steiniger seine noch nicht 40 jährige Gattin, den 5 Kindern die liebe Mutter; als ich ihr, der Ersten, die in das Kundt-Steinigersche Erbbegräbniß (wo sonst auch schon Gottesacker gewesen seyn muß, indem sich beim Grabmachen mensch. Gebeine fanden) gelangte zu ihrer Ruhe, die Weih- u. Standrede sprach, durchbrach die Sonne auf kurze Zeit das dichte Regengewölk, das zuvor u. nachher sich reichlich ergoß. – Dann sind kürzlich bei Landsberg u. Brandis 2 Raubmorde (vielleicht von fremden Eisenbahnarbeitern? auch graben jetzt viele rohe Fremdlinge noch einem neuen Bierkeller für das Rittergut) verübt worden an einem Fuhrmann u. einem Bauer; ebenso hört man von diebischen Einbrüchen. Eodem tempore [lat. zur gleichen Zeit d.Ü.]: Anfall eines Reiters am hellen Tage durch 2 Kerle im Rückmarsdorfer Walde. – Endlich ward unser würdiger Oberpfarrer u. EphorieAdjunkt Ritter in der Nacht v. 23/4 Oct. zu Knauthain, wo er Kirchen- u. Schulvisitation gehalten, auf dem Schlosse zu Abend gespeist u. auf der Pfarre übernachtet hatte, von einem tödt. Schlagflusse betroffen u. überrascht.
Das Todtenfest wird diesmal auf CultMinisterialVerordng. den letzten Trinitat. Sonntag gefeiert, leider mitten in unsere Kirmsen! Auch einer theuern Anverwandtin gedachte ich da mit dankbar wehmüthiger Rührung, der guten Tante Christiana Klotz in Grimma, welche am 12n. Nov. (ihrem Begräbnisse beizuwohnen, machte mein Amt unmöglich!) infolge einer brandig gew. Blasenrose [rosenartige Hautentzündung mit Bildung von mit Wasser u. Eiter gefüllten Blasen d.Ü.] am Fuße, die sie sich zuzog durch Alteration [lat. Aufregung, Ärger d.Ü] über die Nachricht von dem unerwarteten Tode ihres August Krackau, dessen wie seiner 2 Geschwister treue Pflegerin sie vordem gewesen, u. welcher als blühender, geschickter Jüngling schon wieder kürzlich abgerufen ward vom blüthenreichen Daseyn. Sie hat die 70er Jahre erreicht, u. war im Wittwenjahre unseres sel’gen Vater einst meine u. meiner 2 Geschwister redliche Pflegemutter bis zu seiner Wiederverheiratung; ihre theilnehmende Freundschaft u. Liebe ist mir auch in der Folge stets geblieben, u. wie freute ich mich, daß sie seit meinem Hierseyn manchen frohen Tag unter uns verleben konnte. Sanft ruhe ihr gebrechlicher Leib – unsre Seelen finden sich wieder!
Seit d. 8n. Nov. trat veränderliche Witterung, Sonnenschein u. Regen, ein, mehr mild als kalt; d. 10n. Nov. zog selbst ein heftiger Gewittersturm mit Donner u. Blitz vorüber. Dann folgte meist feuchte, trübe Witterung, so auch zu unsern Kirmsen. Leider fiel diesmal die Lützschener Kirchweih mit dem Todtenfeste zusammen, welches von nun, nach H. Verordng am letzten Sonntage des Kirchenjahres, wie in Preußen, gefeiert werden sollte. Dennoch hatte das Creisamt den Schenkwirten zu Hän. u. Qu. Tanzmusik gestattet! Für mich war dieses Todtenfest äußerst erhebend u. genußreich. Nachdem ich in Hänicher Amt d. Vor- wie Nachmittagspredigt gehalten hatte, ging ich nach Schkeuditz u. wohnte daselbst von 3 U. an dem 3. Gottesdienste bei, in welchem der hochwürdige Bischof Dräseke aus Magdeburg die trefflichste Totenfestpredigt (Luc. 9. Laßt die Todten ihre Todten begraben!) hielt bis zur Abenddämmerung. Dann war ich bei Herrn Sup. Hennicke zu Gaste mit mehreren Herren u. einigen köstlichen Stunden entflohen in des Bischofs Nähe. Tags darauf war unsere Kirmes, welche diesmal eine besondere glänzende Bedeutung durch die Veröffentlichung der Heirathsanträge erhielt, welcher H. Diac. M. Kunad unsrer Cousine, Agnes Erdmann, gemacht hatte th. aber auch durch zahlreiche, besonders jugendliche Gäste, unter welchen Superint. Förster aus Lützen , mein lieber Jugendfreund, welcher auch bei uns übernachtete, u. Frau Superint. Martins aus Herzberg, welche mit Pudors aus Wehlitz kam, die merkwürdigsten waren. - Tags darauf endlich ging ich wieder nach Schkeuditz, um der feierl. Investitur [lat. gesetzmäßige Verleihung eines Kirchenamtes d.Ü] des neuen Superint. Hennicke, im Ornat, beizuwohnen, welchem Synode auf der Ephorie u. ein Festmahl auf dem Rathhaussaal folgte, zu welchem mich meiner Pensionärin Mathildes Vater, Herr Postmeister Geudtner, eingeladen hatte. Das waren kostbare, unvergeß. Stunden in des Hochwürdigen Bischofs, der auch mich noch lieb u. werth hält, Nähe, Stunden reicher Erquickg. für das Herz u. der Begeisterg für das Amt, entschädigend für manche Bitterkeit der Gegenwart, die den materiallen Interessen auf Kosten der geistigen nur zu hold ist!
Am 30.Nov. verlobte ich hier meine Cousine u. 3jährige Hausgenossin, die Predigerwaise Agnes Ernestine Erdmann mit meinem würdigen jungen Freunde, dem Diacon Friedrich Kunad in Taucha . Gott segne das Werk! (Vor 3 Jahren verlobte u. traute ich meine Schwester, nicht ahnend, daß – freilich durch ihres Gatten u. ihre Schuld, die Bedauernswerthen nach 3 Jahren so weit fertig seyn würden, das Haus u. Gut den Gläubigern verfällt!)