Sakramentshaus
und Sakramentsnische
Zwei
Zeugnisse spätmittelalterlicher Frömmigkeit in den Kirchen von Hänichen und
Lützschena
HISTORISCHES von
Prof. Dr. Gerhard Graf, Leipzig
Die
beiden ehemaligen Behältnisse für das Altarsakrament haben ihren Ursprung in
der römisch-katholischen Lehre vom Abendmahl. Während nach der
evangelisch-lutherischen Auffassung die mit den Einsetzungsworten geschehende
Selbstzueignung Jesu Christi unter Brot und Wein als Leib und Blut sich auf die
Abendmahlsfeier beschränkt, bleibt Christus nach römisch-katholischem
Verständnis in der geweihten Hostie (Oblate) weiterhin gegenwärtig und verlangt
eine entsprechend ehrerbietige Aufbewahrung. Seit dem Hochmittelalter entstand
daraus ein reiches liturgisches Handeln, das sich zugleich baugeschichtlich
verfolgen lässt:
Um
einen angemessenen Rahmen für diese Anwesenheit Christi zu schaffen, richtete
man daher auf der Nordseite des Altarraumes (der Evangelienseite) ein Tabernakulum (lat. Hütte, Zelt, Behausung, vgl. u. a.
Offenbarung des Johannes, Kapitel 21, Vers 3), als Wohnstätte ein. In großen
Kirchen waren das freistehende Sakramentshäuser oder -türme von teilweise
beachtlicher Höhe (Ulm 28 m, Nürnberg, St. Lorenz 19 m, Meißen, Dom 10,3 m, Pegau 7,7 m). In einfachen Dorfkirchen war dagegen diese
Einrichtung bescheidener. Doch auch hier betonte man diese „Einwohnung“, indem
Wandnischen geschaffen wurden, die besonders durch den oft verwendeten
Schmuckgiebel an ein Haus erinnerten.
Dieses
„Gehäuse“ verwahrte außer den geweihten Hostien, die der Pfarrer bei einem
Besuch am Kranken- oder Sterbebett als Wegzehrung spendete (Viaticum),
auch eine Monstranz. Sie bildete den eigentlichen Blickpunkt: Ein turmähnlicher
Behälter, gearbeitet aus Edelmetall, zeigte sie hinter Glas eine einzelne
geweihte Hostie. Einmal im Jahr wurde die Monstranz am zweiten Donnerstag nach Pfingsten, dem
Fronleichnamsfest (mittelhochdeutsch von – Herr, lichnam
– Leib, Körper), zur Segnung von Ort und Fluren in einer Prozession
umhergetragen. Sonst aber hatte sie ihren Platz in der Kirche. Sie ermöglichte,
sichtbar durch die geöffnete Tür der Nische oder durch ein Gitter, dass der
Besucher des Gotteshauses auch ohne Teilnahme an der Messe den gegenwärtigen
Leib Christi anbetend verehren konnte. Neben dem Hauptaltar stellte dieser
Platz, durch kräftige Farbigkeit hervorgehoben, den wichtigsten Bezugspunkt
spätmittelalterlicher Frömmigkeit dar.
Als
ein Zeugnis dieser Glaubenspraxis hat sich in der Hainkirche von Hänichen das
Beispiel eines Sakramentshauses erhalten. Entstanden um 1480 und reichlich 2 m
hoch, besitzt es, aus der Wand hervortretend, die typischen Merkmale Fuß,
Schaft, Tabernakel und Giebel. Spätere Wertschätzung dieser
spätmittelalterlichen Steinmetzkunst sorgte dafür, dass es nicht nur bewahrt,
sondern auch innerhalb der vergangenen hundert Jahre zweimal umgesetzt wurde:
Als man 1906 die Kirche vergrößerte und die Sakristei nach Osten verschob, legte
man den Zugang dort an, wo sich bislang das Sakramentshaus befand. Dieses bekam
einen neuen Platz innen an der Südseite des Kirchenschiffs und wurde als
Einfassung für das Gedächtnis an Emil Schmeißer, 1905
gefallen als Sergeant in Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia, genutzt. Die
zweite Umsetzung erfolgte Anfang der 70er Jahre. Damals wurde die Kanzel anders
angeordnet, und in ihren bisherigen Aufgang stellte man nunmehr das
Sakramentshaus. Es ist jener Ort, an dem es gegenwärtig steht. Beide Maßnahmen verursachten
substantielle Verluste an den einzelnen Werkstücken. Auch ging die
ursprüngliche Farbfassung – zumeist wohl in Rot – inzwischen verloren. Noch
vorhanden ist die originale Gittertür. Sie wurde jüngst wiederentdeckt an der
spätgotischen Sakristeitür, die man pietätvoll 1906 in den Zugang der
nördlichen Empore eingebaut hatte. Vielleicht kann das Gitter im Zuge der jetzt
anstehenden Renovierung wieder an alter Stelle angebracht werden. Schließlich
besonders hinzuweisen ist auf die Kreuzblume und die Blattverzierungen
(Krabben) am Sakramentshaus, die hier die geöffnete Pforte zum Paradies bzw.
zum Himmel verdeutlichen sollten.
Dagegen
noch am alten Platz befindet sich die Sakramentsnische der Schlosskirche
Lützschena. (0,63 x 0,84 m). Etwa 1500 entstanden, ist sie wesentlich sparsamer
ausgeführt als das Sakramentshaus der Hainkirche. Der Umriss erinnert ein wenig an ein geöffnetes Zelt bzw. an
einen aufgezogenen Vorhang. Von Interesse sind vor allem die beiden
Wappenschilde, die angeblich auf die ortsansässige Stifterfamilie von Üchtritz verweisen. Diese Zuschreibung bleibt aber unklar,
denn das Emblem links lässt nur mit einiger Mühe einen Schlüssel, und damit das
Wappenzeichen derer von Üchtritz, erkennen. Auch
müssten es dann eigentlich zwei, und zwar gekreuzte Schlüssel sein. Noch
schwerer gestaltet sich die Deutung der sechsblättrigen Rose rechts. Ein
anderer Sachbezug als die Stifterfamilie ist jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Sehr
wünschenswert wäre die Entfernung der mehrfach vorgenommenen Anstriche. Im
Ergebnis würde sie nicht nur vielleicht mehr preisgeben zur Erklärung der
beiden Wappenschilde, sondern eine zurück gewonnene Farbigkeit - einschließlich derjenigen vom Sakristeiportal
und dem Türblatt – könnte der Aufwertung der insgesamt etwas kühl wirkenden
Nordwand im Altarraum sicher gute Dienste leisten.
Zugleich
handelte es sich dabei um ein Stück Bewahrung von Frömmigkeitsgeschichte, die
mit Einführung der Reformation übrigens nicht zu Ende war. Denn wie viele
andere Beispiele belegen, wurden die Sakramentsnischen und –häuser
damals nicht beseitigt, sondern einer neuen Nutzung zugeführt. Man verwendete
sie nicht zuletzt wegen ihrer stabilen und verschließbaren Gittertüren künftig
als Tresore. Hier verwahrte man, im Fall von Lützschena gut begreiflich, u. a.
das Abendmahlsgerät.
Literatur:
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs
Sachsen. 16.Heft: Amtshauptmannschaft Leipzig (Leipziger Land)/ bearb. von
Cornelius Gurlitt. Dresden 1894, 52 u. 79; Beate und
Alexander Wieckowski: Sakramentsnischen in
Dorfkirchen im nordwestsächsischen Raum, in: Zur Kirche gehört mehr als ein
Kruzifix: Studien zur mitteldeutschen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte …/
hrsg. von M. Beyer, M. Teubner, A. Wieckowski. Leipzig 2008, 251-264.
Gerhard
Graf, Kirchenhistoriker