Nachdenken über Dinge des Lebens und der
Kunst
„Rufe in die Wüste“ – ein neues Buch von
Gunter Preuß
Das Buch enthält Aufsätze und
Interviews des Autors aus den Jahren 1973 bis 2008. Sie geben Auskunft über
seine bemerkenswerte Haltung in zwei Gesellschaftsordnungen und offenbaren seine
Weltanschauung und Sicht auf die Realitäten der Zeit. Die Texte hat Gunter
Preuß alle so stehen lassen, wie er sie in den genannten Jahren aufgeschrieben
hat. Bereits im Vorwort bekennt der Autor philosophisch: „Nun, du bist heute
nicht mehr der, der du gestern warst. Und gestern warst du wohl nur dem
entfernt ähnlich, den du vorgestern dir selbst und dem verehrten Publikum
vorgestellt hast. Dennoch bist du immer noch derselbe.“
Dabei belegen die Beiträge aus fünfunddreißig
ereignisreichen Jahren, dass Gunter Preuß sich gestern wie heute als ein
charakterstarker, geradliniger, unbeugsamer Autor erweist, der kritisch die
gesellschaftlichen Prozesse durchleuchtet und dabei seine humanistische Grundhaltung
nicht verliert. Immer wieder bekennt er sich in seinen Texten zu grundlegenden
menschlichen Werten, wie Fleiß, Ordnung, Disziplin, Toleranz, gegenseitige
Achtung, Pünktlichkeit und Mut zum Risiko, und er beklagt, dass sie bei vielen
Zeitgenossen heute oft verloren gegangen sind.
Der 1940 in Leipzig geborene
Gunter Preuß (mit den biografischen Schwerpunkten: Lehre als
Fernmeldemechaniker. Leistungssportler /Judo/ Studium an der Fachschule für
Artistik, Arbeit in verschiedenen Berufen, Studium und Lehrtätigkeit am
Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“, freischaffender Schriftsteller), gibt in zahlreichen Beiträgen im Buch aufschlussreiche
Einblicke in seinen Lebensweg, den er als einen Prozess der Selbstfindung und
Selbstverwirklichung beschreibt. In seinem Werdegang sieht er viel Abenteuerliches.
Und er zeigt sich als ein Suchender, der auch einmal ein Irrender sein kann.
Dem Leser offenbart Gunter Preuß sein „inneres Ich, dieses wandelbare,
verletzliche, ängstliche und suchende Ich,
das neben dem äußeren Ich steht, das er täglich im Spiegel sieht.“ Für
den Autor ist der Streit mit dem Ich ein Streit mit der Welt, und das Suchen,
das er als des Menschen Bestimmung ansieht, ist für ihn, auf ein Ziel hin in
Bewegung zu sein.
Zahlreiche Beiträge in dem
Sammelband befassen sich mit eigenen literarischen Arbeiten und ihrem Anliegen,
der persönliche Schaffensmethode sowie mit einer achtungsvollen
Auseinandersetzung mit Arbeiten von Schriftstellerkollegen und eigenen
künstlerischen Vorbildern. Gunter Preuß beschreibt, wie er zum Schreiben
gekommen ist. Schließlich kann der mehrfach verdientermaßen mit Preisen geehrte
Autor auf eine Fülle von Publikationen verschiedener literarischer Genre
verweisen, die im Anhang zum Buch kompakt aufgeführt sind. Und außerdem war
Gunter Preuß zuerst zwischen 1970 und 1974 Student und später dann Lehrer am
hiesigen Literaturinstitut, in dem sich angehende Schriftsteller das Rüstzeug
für ihr anspruchsvolles Handwerk anzueignen versuchen. Über dieses Institut,
seine Ziele und seine inhaltlichen Komponenten
enthält das Buch zahlreiche Aussagen.
Gunter Preuß sieht sich in
erster Linie als Prosaist, für den das Schreiben „eine Schule mit dem Hauptfach
Charakterbildung“ ist. Er will Geschichten erzählen. Nachdrücklich bekennt er
sich zu einer streitbaren Kunst und Literatur, ohne die für ihn das menschliche
Zusammenleben farblos und erdrückend eng wird, wobei er der Überzeugung ist,
dass Kunst und Literatur sehr stark auf das Denken und Fühlen des Menschen
einwirken können. Dabei ist für Gunter Preuß eine konstruktive Kritik wie
ein „Scheinwerfer, der die Akteure nicht
blendet und dem Publikum eine genaue Sicht ermöglicht“. Zugleich erweist er
sich als Anwalt der deutschen Sprache, deren Verarmung und
Alltagsschludrigkeit ihn schmerzt.
In den Beiträgen seit 1989/90
rechnet Gunter Preuß differenziert und
prinzipienfest mit den gesellschaftlichen Verwerfungen im SED-Regime der DDR
und mit selbst erlittenen Repressalien nach seinen Protesten gegen die Ausbürgerung
von Wolf Biermann und Erich Loest, aber auch eigenen Fehlern ab, die er
tabufrei benennt und stellt sich so der Zeitgeschichte. Dabei wendet er sich
entschieden gegen die Duckmäuser von einst, die sich heute als „Widerständler
und Vergangenheitsrichter“ zu profilieren suchen. Gunter Preuß bewegte zeitlebens
die Sehnsucht nach Freiheit und nach der ihm „unendlich erscheinenden Welt da
draußen“. Und er belässt es nicht bei einer Bestandsaufnahme der Vergangenheit,
sondern beschreibt seine Meinung zur Wende und ihren Folgen, wobei er den Bogen
von der Ablehnung von Krieg, Gewalt und der Ellbogenmentalität
bis zum gegenwärtigen Protest gegen den wachsenden Fluglärm am Flughafen
Leipzig/Halle spannt. Nicht zuletzt ist das Bekenntnis des Autors zu Leipzig
bemerkenswert, dessen wechselvolle, oft schmerzhafte Geschichte er in den
letzten Jahrzehnten mit wachen Sinnen intensiv erlebt hat.
Gunter Preuß’ Buch erweist
sich als Fundgrube von Lebenserfahrungen und Lehren zur Zeitgeschichte, die
sich in einer Buchrezension nicht ausschöpfen lässt. Die Lektüre der „Rufe in
die Wüste“ bringt dem Leser reichen Gewinn und viel Stoff zum Nachdenken.
Gunter Preuß, Rufe in die Wüste,
405 Seiten,
Hardcover mit Schutzumschlag,
Projekte-Verlag Cornelius GmbH, Halle
Euro: 24,90
ISBN 976-3-86634-759-5
Gottfried Kormann