Zwanzig Jahre friedliche Revolution

 

Erinnerungen - ein Blick zurück:

 

–20 Jahre nach den Leipziger Montagsdemonstrationen – Wegbereiter der friedlichen Revolution von 1989

Rückschau auf den Beginn der demokratischen Erneuerung in Lützschena vor zwanzig Jahren

 

Pfarrer i.R. Roland Pappe, 1989 Seelsorger in der Kirchgemeinde Lützschena, hatte während dem diesjährigen Schlossparkfest zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Seinem Ruf folgten Persönlichkeiten, die sich als Pioniere des Neubeginns einer freiheitlich-demokratischen Kommunalverwaltung in der damals selbstständigen Gemeinde Lützschena, neben zahlreichen anderen progressiven Mitstreitern, bleibende Verdienste erworben haben.

 

Unter der Leitung des Pfarrers hatten auf dem Podium Platz genommen: Der langjährige Bürgermeister Detlef Bäsler, Diplom-Ingenieur Christoph Schneider, Gründungsmitglied und amtierender Sprecher der Bürgerinitiative 1990,  Angelika Wächtler, Gemeindevertreterin der 1. Legislaturperiode und Mitglied des Vorstandes des Heimatvereins Lützschena-Stahmeln und Professor em. Dr. Wolfgang Weiler, Mitinitiator der Vorbereitung der Kommunalwahl 1990 und Vorsitzender des hiesigen Siedlervereins. Pfarrer Pappe betonte jedoch noch vor dem Eintritt in die Debatte, dass er sich bei allen Bürgerinnen und Bürger, die vor zwanzig Jahre ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der Bürgerbewegung gehörten und von ihm jetzt nicht angesprochen wurden, entschuldigt.

 

Der Pfarrer hatte damals die Räumlichkeiten der Kirche zur Verfügung gestellt und dort einen “Runden Tisch“arrangiert. Mit dem Blick auf die für den 18. März 1990 vorzubereitende letzte Volkskammerwahl der DDR und die für den am 6. Mai angesetzten ersten freien Kommunalwahlen, galt es, unbelastete und politisch vertrauenswürdige Persönlichkeiten aus der Gemeinde zu finden, die bereit waren, sich zur Wahl zu stellen. Das war umso notwendiger, als eine Zwangsverwaltung durch die Stadt Leipzig drohte, wenn Lützschena nicht selbst wählte. Eine solche Maßnahme konnte verhindert werden.

 

Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg bereicherte die Diskussion mit seinem Beitrag über das Zustandekommen des Partnerschaftsvertrages zwischen der bayrischen Gemeinde Hurlach und dem sächsischen Lützschena, so wie er es in dem Interview in dieser Ausgabe des Auen-Kuriers beschreibt.

 

Drei Fragenkomplexe wurden während der Podiumsdiskussion behandelt. Pfarrer Pappe fragte zunächst die Teilnehmer, was sie bewogen hat, am Neubeginn einer demokratischen Kommunalpolitik mitzuwirken. Sie alle wollten aus Heimatverbundenheit etwas für die Zukunft der Gemeinde tun, deren Selbstständigkeit erhalten und sich für eine starke Bürgerinitiative engagieren. Und Pfarrer Pappe ergänzte: Im Februar 1990 entstand die „Bürgerinitiative zur Vorbereitung der Wahlen“. Man legte im Ort in vier Geschäften Zettel aus, auf die jeder Bürger einen Kandidaten aufschreiben konnte. Am Ende waren es 56 Vorschläge. Nach Rücksprache mit allen vorgeschlagenen Bürgerinnen und Bürgern, kandidierten schließlich 18 Persönlichkeiten. Das Wahllokal war die damalige Grundschule in Lützschena am Bildersaal 4. Seit der ersten Wahl von 1990 hat die Bürgerinitiative in Lützschena das Zepter nicht aus der Hand gegeben.

 

Die zweite Frage von Pfarrer Pappe lautete: „Warum haben Sie sich nicht einer Partei angeschlossen, sondern auf der Gründung der Bürgerinitiative bestanden?“ Nach den bitteren Erlebnissen mit dem diktatorischen Parteiensystem in der DDR, war zunächst das Vertrauen in Parteien verloren. Die Diskussionsteilnehmer wollten sich als freie Kandidaten der Wahl stellen und in erster Linie auf den Ort bezogen politisch aktiv sein, also eine konstruktive Ortspolitik entwickeln.

 

Professor Weiler erinnerte daran, dass Pfarrer Pappe und er als die ersten zwei Redakteure der neu ins Leben gerufenen Ortschaftszeitung „Lützschenaer Mitteilungen“ fungierten. Diese Zeitung im Format DIN A 5 entstand als Vorläufer des heutigen „Auen-Kuriers“ und bot Gedanken, Informationen und weitere Beiträge, die auf die Belange der Lützschenaer Bürger ausgerichtet waren.

 

Schließlich ging es in der Diskussion um die damals anstehenden ersten kommunalpolitischen Ziele, die unmittelbar an die Anliegen und Sorgen der Einwohner Lützschenas anknüpften. Professor Weiler war schon damals Mitglied des Siedlervereins Lützschenas und setzte sich für die entstandenen Eigentumsfragen der Lützschena Einfamilienhausbewohner ein. Des Weiteren ging es ihm unter anderem um den Erhalt des Jugendklubs, der Grundschule und die Überführung der Sternburgbrauerei in Gemeindeeigentum. Noch heute bedauert er, dass der Erhalt der Brauerei nicht gelungen ist. Doch Professor Weiler stieß auch erste Diskussionen zum Bau einer neuen B6 an, die ursprünglich unterhalb der Bahnlinie gebaut werden sollte und durch seine erfolgreiche Initiative schließlich oberhalb der Bahnlinie entstand.

 

Bürgermeister Detlef Bäsler erinnerte an die ersten kommunalpolitischen Ziele, von 1990, darunter die Entwicklung Lützschenas als Wohnstandort, die Verkehrsberuhigung auf der damaligen F 6, den Schutz des Naturraumes westliche Aue und den Erhalt der Sternburgbrauerei als Produktionsstandort.

 

Angelika Wächtler sieht ihre damaligen kommunalpolitischen Ziele heute weitgehend erfüllt, die Klärung von  Grundstücksfragen von Privatpersonen, aber auch der in kommunaler Hand befindlichen,  den Neubau der Kindertagesstätten und den Erhalt der Grundschule. Ihr Wunsch ist, dass sich noch mehr Bürger für das Wohl der Ortschaft engagieren.

 

Christoph Schneider meinte. die Ziele, die vor 19 Jahren formuliert wurden, seien noch heute als aktuell.  Alle Bürgerinnen und Bürger der Ortschaft müssten sich an ihrer Erreichung aktiv beteiligen.

 

Alle Teilnehmer an der Podiumsdiskussion verwiesen noch einmal auf die 1994 erfolgte segensreiche Vereinigung der Gemeinde Lützschena und Stahmeln, aber auch auf die 1999 vollzogene Eingliederung der Gemeinde in die Stadt Leipzig, wodurch Lützschena-Stahmeln allerdings viel von seiner unverwechselbaren Identität verloren hat. 2014 endet der Eingemeindungsvertrag mit dem Oberbürgermeister der Stadt, und so forderten alle Diskussionsteilnehmer, dass der Stadtrat zu gegebener Zeit diesen Vertrag um weitere zehn  Jahre verlängern möge..

 

Pfarrer Pappe hielt ein Schlusswort. Er erinnerte an den Gottesdienst in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990. genau fünf Jahre später, am 3. Oktober 1995 verteilte er Zettel, auf die jeder Anwesende beim  Gottesdienst seine dringendsten Wünsche vermerken konnte. Von dieser Liste verlas Pfarrer Pappe einige jener Wünsche, die zwischen 1990 und 1995 erfüllt werden konnten, darunter: „jeder, der es wollte, bekam endlich einen Telefonanschluss; die Straße ‚An der Schäferei’ wurde mit glattem Belag versehen und Israel verhandelt mit Palästina“. Der Pfarrer schloss mit den damals aufgeschriebenen Worten: „Es gibt keinen Ort, in dem es sich so gut leben lässt, wie in Lützschena.“

 

 

Auf der Grundlage einer Zuarbeit von Frauke Krämer bearbeitet von

Gottfried Kormann