Zwanzig Jahre nach der friedlichen
Revolution vom Herbst 1989
In Lützschena und Leipzig fühle ich mich
wohl
Zu
den verdienstvollen Persönlichkeiten, die unmittelbar nach dem Mauerfall aus
den alten Bundesländern in den Osten Deutschlands kamen und hier selbstlos mit
ihrem reichen Erfahrungsschatz ihr Denken und Handeln in den Dienst der Neugestaltung
einer freiheitlich-demokratischen Ordnung stellten, gehört Wolf-Dietrich
Freiherr Speck von Sternburg. Besonders für die Stadt Leipzig und für
Lützschena hat er bleibende Leistungen auf den verschiedensten gesellschaftlichen
Gebieten vollbracht. Freiherr von Sternburg hat den tief greifenden Wandel
unmittelbar miterlebt und tatkräftig begleitet. Dafür gebührt ihm Dank.
Mit
ihm sprach der Auen-Kurier über seine Bilanz nach zwanzig Jahren neuester
deutscher Geschichte.
Auen-Kurier: Herr von Sternburg, wie und wo erlebten Sie den Fall
der Berliner Mauer im November 1989 und welche Gedanken bewegten Sie nach
Erhalt dieser Nachricht?
Freiherr von Sternburg: Zum Zeitpunkt des Mauerfalls befand ich mich in
München noch mitten im Berufsleben. Das historische Ereignis hat mich damals
total überrascht, Niemals hatte ich daran gedacht, dass eines Tages die Grenze
zwischen Deutschland Ost und West fallen und ich als heutiger Erbe mit unserem
einstigen Familienbesitz in Sachsen etwas zu tun haben könnte. Natürlich habe
ich mich mehr als gefreut, dass es nun ohne politische Hürden und Repressalien
möglich wurde, nach Ostdeutschland zu reisen und dort neue vielfältige
Verbindungen zu knüpfen, und dass nunmehr die deutsche Wiedervereinigung in
greifbare Nähe rückte. Der Gedanke an Besitz und Eigentum in Lützschena und
Leipzig spielte dabei bei mir zuerst keine wichtige Rolle. Bis mich meine
Familie fragte, ob ich mich darum nicht kümmern möchte. Erst dann bin ich Anfang
1990 nach Lützschena gefahren.
Auen-Kurier: Mit welchen Erwartungen und Plänen fuhren Sie
unmittelbar nach der gesellschaftlichen Wende ins sächsische Lützschena. Was
fanden Sie dort vor?
Freiherr von Sternburg: Nach Lützschena fuhr ist ohne jegliche Erwartungen
und Pläne. Die Ortschaft und ihre Bewohner waren mir völlig unbekannt Ich dachte, am besten du gehst zum Pfarrer,
um von ihm erste Informationen zu bekommen. Das war damals Roland Pappe. Mit
ihm und seiner sympathischen Frau habe ich mich sofort sehr gut verstanden. In
unseren Gesprächen wurde mir klar, dass ich doch ein wenig mithelfen kann, in
der Gemeinde ein neue gesellschaftliche Ordnung mit aufzubauen. Persönliche
Interessen waren zunächst zweitranging. Vielmehr planten der Pfarrer und ich
sofort, wie eine demokratische Verwaltung geschaffen werden kann, und wir
bezogen weitere Bürgerinnen und Bürger in unsere Planung ein. Mir wurde bereits
während meines ersten Besuches bewusst, dass ich in Lützschena auch im Sinne
meiner Vorfahren eine familiäre Verpflichtung zu übernehmen habe und tat das vom ersten Tag auch gern.
Auen –Kurier: Wie ging es weiter?
Freiherr von Sternburg: Nach meiner Rückkehr nach Bayern besuchte ich meinen
guten alten Freund Bernd von Schnurbein, damals Bürgermeister der Gemeinde
Hurlach bei Landsberg am Lech, ein in der Größenordnung der Gemeinde Lützschena
ähnliches Dorf. Bei einer Tasse Kaffee erzählte ich ihm in seinem Garten von
meinen Reiseeindrücken und den nunmehr auf mich zukommenden Aufgaben bei der
Schaffung einer neuen kommunalen Verwaltung in Lützschena, von der ich als
gelernter Kaufmann allerdings wenig Ahnung hatte. Bernd von Schnurbein hörte
mir aufmerksam zu.
Am
nächsten Tag rief er mich in München an und machte das Angebot, mit mir nach
Lützschena zu fahren. Aus dem gemeinsamen Besuch und der Begegnung mit
Bürgerinnen und Bürgern ergab sich, dass sich das bayrische Dorf Hurlach mit
seiner Gemeindeverwaltung den progressiven Kräften in Lützschena helfend zur
Verfügung stellte. Hieraus hat sich dann die bekannte Partnerschaft zwischen
den beiden Dörfern entwickelt und bis heute erhalten.
Wie
gesagt, habe ich mich zuerst um eigene familiäre Eigentumsfragen nicht
vorrangig gekümmert, es ging mir ums Gemeinwohl in der Gegend, in der meine
Vorfahren über Jahrhunderte hinweg positiv gewirkt hatten. Das Wichtigste war
mir, Vertrauen bei der Bevölkerung zu erlangen. Natürlich haben sich später
Eigentumsfragen gestellt, die mich bald auch nach Leipzig führten. Aber ich habe
von vornherein darauf bestanden, dass immer gesetzliche Festlegungen von mir
respektiert und eingehalten werden.
Heute
kann ich rückblickend sagen, ich habe mich in Lützschena und Leipzig stets wohl
gefühlt und tue es noch immer.
Auen-Kurier: Im Rückblick auf die vergangenen zwanzig Jahre: Wie macht
nach den zwei Jahrzehnten Ihre persönliche Bilanz aus?
Freiherr von Sternburg: Wenn ich heute auf die vergangenen zwanzig Jahre
zurückblicke, so empfinde ich es als persönliches Glück, bei vielem von dem,
was in der hiesigen Region an positiven gesellschaftlichen Errungenschaften
entstanden ist, aktiv mitgewirkt zu haben. Ich bedaure, dass wir zu dem Geleisteten
nicht ein wenig mehr an Stolz und Dankbarkeit entfalten, trotz der natürlich
vorhandenen täglichen Probleme.
Meine
Genugtuung ist groß, dass ich den Schlosspark zurückkaufen konnte, um ihn in
seiner Gesamtheit der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Natürlich freue
ich mich, dass die bedeutende Kunstsammlung Freiherr Maximilian Speck von
Sternburgs durch die von mir erfolgte Gründung der Stiftung im neuen Museum der
bildenden Künste zu Leipzig den Bürgerinnen und Bürgern erhalten werden konnte.
Und ebenso freut es mich, dass Vertreter einer jungen Generation, die Freiherrn
von Truchseß und von Erffa, das Lützschenaer historische
Schloss meiner Vorfahren erworben haben und es beispielgebend schrittweise
rekonstruieren.
Für
mich, der jetzt in der Mitte seines siebten Lebensjahrzehnts steht, ist es das
schönste Geschenk zu wissen, unser Familienerbe in fünfter Generation erhalten
zu haben und es in den Dienst der Öffentlichkeit stellen zu können.
Auen-Kurier: Herr von Sternburg, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Gottfried Kormann