Das alte Barockschloss von Lützschena
Wer es heute in Lützschena
sucht, findet es nicht mehr. Dennoch: Mehrere Generationen hindurch war es das
Herrenhaus des Ritterguts. Erbaut wurde es in der Barockzeit für die Familie
von Uichteritz (auch Uechteritz bzw. Uechtritz). Sie besaß es seit 1404. Im
Januar 1822 erwarb es der Leipziger Bürger und Wollhandelskaufmann Maximilian
Speck, nachmaliger Freiherr von Sternburg. Das zugehörige verhältnismäßig kleine
Schloss übernahm er als Wohnsitz. Um außerdem seine umfangreichen
Kunstsammlungen vollständig darin unterzubringen, reichte der verfügbare Raum
allerdings nicht aus. 1864 ließ Maximilians jüngster Sohn, Alexander Maximilian
von Sternburg, das baufällig gewordene Gebäude abreißen und anschließend durch
den noch heute bestehenden neogotischen Schlossbau ersetzen. In ihm war bis zum
Ende des zweiten Weltkriegs die Sternburgsche Gemäldesammlung repräsentativ
untergebracht. Die Bauformen des neuen Schlosses wurden dem im
spätmittelalterlichen England entstandenen Tudor-Stil entlehnt. Den oberen
Abschluss bildete ein Zinnenkranz, den man 1950 leider entfernte.
Wie das Lützschenaer
Barockschloss ausgesehen hat, zeigen zwei Lithographien aus dem 19. Jahrhundert.
Bei der einen (Abb.1) handelt es sich um eine 1826 von dem Landschaftsmaler und
Graphiker Friedrich Loos geschaffene Teilansicht des Schlossparks mit dem
Schloss als Mittelpunkt. Die andere (Abb.2) ist eine exakte Darstellung des
Schlosses und wurde in dem 1854 erschienenen „Album der Rittergüter und
Schlösser des Königreich Sachsen“ Bd. I (Leipziger Kreis) veröffentlich. Wir
sehen einen zweigeschossigen Bau. Seine Längsseiten werden durch 8 vertikale
Fensterachsen gegliedert, an den Schmalseiten sind es 5. Die flache plastische
Dekoration der Fassade wirkt eher zurückhaltend und setzt nur in dem Mittelfeld
über dem Eingang einen stärkeren Akzent. Das Mansarddach trägt an der
Längsseite 5, an den Schmalseiten 3 Dachgauben. Im Zentrum des Daches ragt ein
kurzer, gedrungener Turm auf. Ein in den Proportionen und der Fassadenstruktur
weitgehend ähnliches Beispiel barocker Herrenhaus-Architektur ist das zurzeit
noch in Renovierung kleine Schloss in der Mitte des Dorfes Ermlitz (jetzt
Ortsteil von Schkopau, zwischen Halle und Leipzig). In den 30er Jahren des 18.
Jahrhunderts erbaute es der Sächsische Oberlandbaumeister Johann Christoph
Knöffel für die Familie von Bose, die Besitzer des dortigen Rittergutes (Abb.
3) 1771 erwarb der Jurist und spätere Leipziger Bürgermeister Dr. Heinrich
Friedrich Innozenz Apel das Gut Ermlitz als Sommersitz für seine Familie. Er
ließ die Innenausstattung des Schlosses mit Stuckdecken und kostbaren Tapeten
erneuern. Unter seinem Sohn Johann August Apel, Jurist und Dichter sowie Domherr
zu Merseburg, wurde im Dachgeschoss eine umfangreiche Bibliothek eingerichtet.
Ermlitz war seitdem ein kultureller Mittelpunkt für Schriftsteller und Musiker.
1825 begann Maximilian Speck
östlich des Schlosses, zwischen Weißer Elster und Hundewasser, seinen
weiträumigen Landschaftspark anzulegen. Zur gleichen Zeit war der aus Graz
stammende Friedrich Loos nach Leipzig gekommen und hatte von Speck den Auftrag
erhalten, Radierungen nach Gemälden seiner Sammlung für einen Katalog „anzufertigen“. Damals entstanden auch das in Abb. 4
wiedergegebene Blatt „Schafschur in Lützschena“ und einer Reihe Zeichnungen mit
Partien des Schlossparks. Nach einigen von diesen stellte Loos Lithographien
her. Dazu gehört auch das in Abb.1 wiedergegebene Blatt. Es enthält außer dem
Schlossmotiv mehrere genau angegebene Details aus der näheren Umgebung des
Schlosses. Der im Vordergrund erscheinende Schäfer mit seiner Herde ist als
Hinweis auf die damals im Lützschenaer Mustergut erfolgreich betriebene
Schafzucht zu verstehen. Im Winter arbeitete der Künstler in Leipzig, im Sommer
bei Familie Speck in Lützschena. Als er viel später, im August 1868, noch
einmal Lützschena besuchte, schrieb er in das Gästebuch des nunmehr neuerbauten
Schlosses: „In unauszusprechender Rührung verlasse ich dieses Haus und
Kunstsammlung, wo ich vor 42 Jahren zwei der schönsten, glücklichsten Jahre
meines Lebens verbrachte. Möge der Segen des Juwels auf allen Gliedern der
Familie dieses Hauses bis in die spätesten Zeiten ruhen“. Ein rastloses Schaffen
kennzeichnet das Leben dieses von den Lützschenaern Schlossherren in seiner
künstlerischen Bedeutung hoch geschätzten Mannes. Sein überwiegend graphisches
Werk besteht hauptsächlich aus Landschaftsbildern, deren weitgehend
realistischer Stil häufig an Lichtführung orientiert ist. Loos arbeitete an
zahlreichen Orten Europas von Süd bis Nord: Nach seiner Ausbildung an der
Wiener Akademie weilte er vorübergehend in Ungarn. Danach hielt er sich in
Leipzig und Lützschena auf, ehe er im Sommer 1826 über Dresden und Prag wieder
nach Wien und noch im gleichen Jahr nach Salzburg ging. Ab 1840 lebte er in
Italien, vor allem in Rom, dann 1851 – 53 in Bremen, Oldenburg, Hamburg und
Kopenhagen. Seit 1853 wirkte Loos in Kiel, wo er später eine Anstellung an der
dortigen Universität als Zeichenlehrer erhielt. 1856 unternahm er eine
Studienreise nach Norwegen. Eine Sonderausstellung innerhalb seines
umfangreichen Werkes nehmen zwei große Stadtpanoramen (Salzburg, Rom) ein.
Loos starb hochbetagt 1890 in
Kiel.
Werner Müller, Stahmeln
Für freundliche Unterstützung
meiner Recherchen danke ich der Bibliothek Lützschena und der Redaktion des
Allgemeinen Künstlerlexikons, Leipzig.