Fortsetzung von Auszügen des Berichtes von Willy Pietsch vom 9. Juni 1945, dessen Veröffentlichung in der Aprilausgabe des Auen-Kuriers begann

               

               

Am 30.4.1945 trat ein Wechsel bei den Besatzungstruppen ein. Ein neuer Kommandant kam in den Ort und besetzte mit seiner 120 Mann starken Truppe den gesamten Brauereibetrieb. Die alte Besatzung zog ab und dadurch konnten 70 Wohnungen, die vorher für amerikanische Quartiere geräumt werden mußten, wieder bezogen werden. Dadurch trat eine gewisse Erleichterung bei der Bevölkerung ein. Wir hatten alle Hände voll zu tun. Ich fand dabei die regste Unterstützung durch die neue Ortskomman-dantur und ich muß gestehen, daß sich von den Umgangsformen der Amerikaner unsere deutschen Dienststellen eine `Scheibe abschneiden konnten. Mit einer Fairneß wurde verfahren, die in Erstaunen setzte, zumal man ja bedenken mußte, daß diese Leute als Eroberer zu uns kamen.

 

Im Rittergut Lützschena waren Differenzen über die Weiterbeschäftigung von Inspektor Holzweissig, Hofmeister Stollberg und Buchhalterin Bösenberg ausgebrochen. Während die auf dem Rittergut beschäftigten Polen es fertig brachten, sogar den Hof und die Baronesse als Betriebsführerin Tag und Nacht vor Plünderungen zu bewachen. Beschämend für uns Deutsche, daß gerade das Verhalten der Polen über alles Lob erhaben ist. Gerade aus diesen Erwägungen heraus mußte ich die fristlose Entlassung des Hof-meisters Stollberg erwirken, der sich gröberer Verletzungen in der Behandlung der Polen hatte zu Schulden kommen lassen, und wenn nicht Ruhe und Arbeitsfrieden aufs Schlimmste gefährdet werden sollten.

 

Dazwischen hinein bemühte ich mich um die Wiederversorgung mit Kochgas, was durchaus auch bald wieder durch die Vermittlung des amerikanischen Kommandanten geliefert wurde. An der Wiederinbetriebnahme der Außenbahn waren wir ebenfalls maßgeblich beteiligt. Und von da an zogen wir den Arbeitseinsatz auf. Ich berief als Einsatzleiter hierzu meinen Freund Beuchelt, der mir aus der Arbeitersportbewegung und zuletzt bei den Vorgängen im Volkssturm nahestand und vertrauenswürdig erschien. Im Übrigen brachte er die nötigen Fachkenntnisse als früherer Bauarbeiter und jetziger Schachtmeister mit. Lediglich Parteigenossen zur Strafarbeit zu beschäftigen, wie man es mit uns 1933 gemacht hatte, ließen die Amerikaner nicht zu. Deshalb mußte ich die Pflichtarbeit für alle freistehenden Arbeitskräfte einführen. Deswegen war und ist auch jetzt noch der Erfolg unseres allgemeinen Aufrufs zur Arbeitsleistung kein durchschlagender. Aber es wird die Zeit kommen, wo man mir noch die Hände schütteln wird, daß ich die Einwohner hier im Orte beschäftige. Auch finde ich noch wenig Verständnis bei vielen Eltern, daß ich die größeren Kinder und Jugendlichen zur Arbeit heranzog. Mein Bestreben war, diese erst einmal von der Straße fernzuhalten. Der fehlende Schulunterricht, das Plündern der Erwachsenen usw., übte verderblichen Einfluß aus. Man müßte mich hierin mehr, ja mit allen Mitteln unterstützen! Und ich werde noch alle zu erfassen wissen, auch die über 18 Jahre alten Jahrgänge. Es gibt noch zu viele Drückeberger.

               

Wir gehen mit unserer Ernährungslage noch einer schweren Zeit entgegen und verlasst Euch darauf, wir werden rücksichtslos durchgreifen bei denen, die sich jetzt weigern und sich damit an der Gemeinschaft vergangen haben!  ... Deswegen stellten wir auch sicher, was noch zu retten war. Waffen mußten abgegeben werden. Eine Bekanntmachung jagte die andere. Ausgeh- und Sperrzeiten wurden verordnet und wieder aufgehoben. Die Lebensmittel-Erfassung und Verteilung setzte ein, noch etwas ver-worren, aber es wurde doch wieder etwas eingearbeitet. Ich berief zur Unterstützung des hiesigen Gendarmeriepostens, der bis auf weiteres noch zu amtieren hatte, eine Hilfspolizei von 16 Mann ein. Sie kamen oft mit blutigen Köpfen heim, wenn es galt Plünderungen und Belästigungen der Bauern durch wilde Viehabschlachtungen zu unterbinden.

               

Dazwischen fiel der 8. Mai, der Tag der Kapitulation der gesamten deutschen Wehrmacht. Für uns der Beginn einer vollständig neuen Epoche und die endliche Aus-seicht auf die Verwirklichung unserer Forderung: Nie wieder Krieg! Die Verdunklung wurde aufgehoben.

               

Neue Flüchtlinge und heimreisende Wehrmachtsangehörige wurden verpflegt und untergebracht. Hier fand ich eine einzigartige Unterstützung in dem Gasthofwirts-Ehepaar Biedermann, die oft das Unmöglichste möglich machten. Hier untergebrachte Evakuierte drängten auf menschenwürdigere Unterbringung, die von den Nazi´s seiner Zeit ganz regellos vorgenommen worden war. Wohnungsbau wurde ins Auge gefasst und sofort damit begonnen. Maurer und Zimmerleute, Erdarbeiter, Schlosser, Klempner, Dachdecker hierzu verpflichtet. Zwei Wohnungen im Schießstand gehen ihrer Vollendung entgegen. Zur Zeit werden die großen Baracken hinter dem ehemaligen Schießstand und an Weihmann´s Gut wieder bewohnbar hergestellt. Bombentrichter auf den Roßberg´schen Feldern am Windmühlenweg und die Geschützunterstände in der Flak-, sowie Scheinwerferstellung sind eingeebnet. Das daraus ausgebaute Holz, die Leitungsmasten, Steine und dergleichen für Bauzwecke in eigener Regie eingelagert oder für dringlichere Arbeiten abgegeben. Die dadurch freigewordenen Landstücken sofort von den Bauern bestellt oder in Parzellen aufgeteilt und als Grabeland vergeben.      Durchschnittlich 300 Frauen und Kinder wurden den Landwirtschaftsbetrieben zum Rübenverziehen bzw. -hacken zur Verfügung gestellt. Mit den am Orte bestehenden 3 Schrebervereinen leitete ich Verhand-lungen ein und mußte eine Teilung von großen Gärten und die Enteignung von Doppelgärten fordern. Es soll möglichst jeder in den Besitz eines Stückes eigen Scholle kommen, getreu der Forderung: „Pflanzen nicht schanzen!“

               

Wie in jungen Jahren als aktiver Sportler, bin ich auch heute noch ein eifriger Förderer der Leibesübungen. Aus diesem Grunde setze ich mich augenblicklich auch intensiv für die Erwirkung der Spiel- und Turnveranstaltungen ein. Ich habe mich auch befaßt mit der Gründung eines ambulanten Krankenhauses. Die Möglichkeit war uns gegeben, durch die Bestände der Wehrmachts-revierstube „Grüne Aue“, die uns durch den Ortskommandanten Lt. Harris übereignet wurden. Der von mir nach hier verpflichtete Dr. Kiefer B Schkeuditz, der hier in Lützschena mangels eines anderen Arztes Sprechstunden abhält und Krankenbesuche macht, sprach sich ebenfalls zustimmend aus. Die Rentabilitätsberechnung ergab zu hohe Zuschüsse, die uns überlastet hätten. Das Projekt ruht zur Zeit, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Einstweilen begnügen wir uns mit der bestehenden, leider auch geplünderten Unfallhilfsstelle unter Leitung der Frau Engelmann.

               

In der ehemaligen Kindertagesstätte der NSV fand ich ein weiteres Betätigungsfeld. Es war schwer dort Ordnung hereinzu-bringen. Der Betrieb hatte schon geraume Zeit vor dem Zusammenbruch der NSDAP geruht. Durch Bombenabwürfe und Munitionsexplosion auf dem Lützschenaer Bahngelände waren Fensterschäden eingetreten. Die Einrichtungsgegenstände, Kücheninventar usw. waren zum größten Teil geraubt. Wir konnten auch hier durch die Anständigkeit vieler das meiste wieder herbeischaffen. Glas für Fensterscheiben konnte beschafft werden, indem wir ein Ausweichlager einer Leipziger Firma in Lützschena entdeckt hatten und vor der Zerstörung durch Ausländer sicherstellten. Als Äquivalent billigte mir die Firma eine große Menge Scheibenglas zu. Wir hatten dadurch die Möglichkeit, fast alle Schäden im Orte, zuerst an Arbeiterwohnungen und Gemeindegrundstücken zu beheben. So wurde auch unser Kindergarten wieder verglast, und am 1. Juni früh 8 Uhr zogen bereits 36 junge Menschlein im Alter von 3 B 9 Jahren ein. Die Zahl wächst dauernd, da wir gegen Abgabe von geringen Mengen in Lebensmittelmarken ein ausreichendes und kräftiges Mittagessen bieten und auch die geschickte Leitung einer geprüften Kindergärtnerin, einer Helferin und einer Kochfrau gewähr für ein gedeihliches Arbeiten bieten.             Ebenfalls am 1. Juni konnte ich in der ehemaligen Ortsgruppe der NSDAP das Amt für Wohlfahrtspflege eröffnen. Aus einer Hochburg des Terrors wurde somit ein Institut antifaschistischer Volkshilfe.

 

Damit komme ich gleich dazu, über interne Verwaltungsfragen zu reden. Außer dem vorgehend erwähnten Gendarmerieposten also der staatlichen Polizeiorgane, steht mir noch ein Angestellter für den örtlichen Aufsichtsdienst (Händel) zur Verfügung, der gleichzeitig diensttuender Feuerwehrführer ist. Der Betreffende wird, da zur Zeit die Postverständigung noch ausfällt, als Kurier, gleichzeitig für die Gemeine Stahmeln, verwandt. Dieser Dienst ist nicht leicht und erfordert guten Willen, den ich aber auch hier vorfand.

 

Die Allgemeine Verwaltung übernahm ich nach der Entlassung des Herrn Lange, die ich auf Befehl der Militär-Regierung vor-nehmen mußte, selbst, unter der Assistenz des bisher damit beschäftigten Personals. Gegliedert ist diese Allgemeine Verwaltung in: Haupt- und Zentralverwaltung, Statistisches, Wahlen, Verkehr, Presse, Staatliche und provinzielle Angelegenheiten, Woh-nungsnachweis, Mietsachen, Versicherungen.

 

Herr Forbriger musßte ebenfalls nach politischer (Prüfung?) auf Befehl der Militär-Regierung seinen Dienst verlassen. Das von ihm innegehabte Standesamt wird nach meiner Bestellung von mir ausgeübt werden. Von mir in die Verwaltung neu berufen wurde mein Gesinnungsfreund Kurt Zschau, den ich mit der Lebensmittelkarten- und Bezugscheinstelle betraute. Ein Posten, der vor allen Dingen Ehrlichkeit erfordert. ...