Sind die denn gar nicht traurig?

Pfarrer Voigt

Es ist der Montag nach den Winterferien. In unserer Grundschule hat es nicht geklingelt, denn dieser Schultag ist kein gewöhnlicher. Die Schulglocke ist ausgestellt. An einen normalen Unterricht mag von den Erwachsenen kaum einer denken, obwohl es doch alle anders gewünscht hätten. Die Kinder wollen von ihren Ferienerlebnissen erzählen. Viele freuen sich auf die Mitschüler und die Schule. Doch Mitja ist nicht mehr da. Das kann kaum einer fassen. Der Mord durchkreuzt alles. Einzelne weinen, andere suchen die Nähe zu ihrer Lehrerin, der Mutti oder dem Vati. Ein Schüler fragt neugierig mit wissbegierigen Augen: "Komme ich jetzt ins Fernsehn?" Journalisten und Kameras stehen vor dem Eingang

Die Klassen haben Seelsorger in den ersten Stunden dabei. Sie wollen der Schule den Rücken stärken. Lehrer und Kinder wissen nicht, was sie erwartet. Wie sollen sie beginnen? Was sollen sie sagen oder machen? In den Klassen erinnern sich die Schüler an Mitja, erzählen von ihm, malen Bilder, stellen Fragen. Oft bleibt die Antwort aus. Was will man denn sagen auf die Frage: "Warum ist das passiert?" oder "Hat Mitja mit dem Mörder gekämpft?" Dann, einige Tage später, die Erleichterung. Der mutmaßliche Mörder Mitjas ist gefasst. Wir sind der Polizei sehr dankbar. Ein Stein fällt uns vom Herzen, doch die Trauer und das Entsetzen über das unfassbare Geschehen bleibt. Jetzt ist bei betroffenen Lehrern, Kindern und Eltern Erschöpfung da. Jeder hat seine andere Art und Weise mit dem unvorstellbaren Geschehen umzugehen.

Das ist normal und wir dürfen uns nicht von anderen außenstehenden Mensehen unter Druck setzten lassen. Manche erwarten, dass bei uns jetzt alles anders ist. Das stimmt einerseits, andererseits jedoch überhaupt nicht.An besagtem Montag schaute ganz unverblümt ein Kind in Mitjas Klasse und staunte: "Sind die denn gar nicht traurig?" Denn die Kinder machten Pause, aßen, redeten, rauften miteinander ‑ wie immer, doch nur fast. Mitja fehlt. Er wird immer fehlen. Für manchen wird das lange, lange Zeit wie ein Stich im Herzen sein. Was aber meinen Schmerz lindert, das kann mir von außen keiner vorschreiben. Manchem ist es wichtig, so schnell wie möglich wieder in den Alltag zu kommen. Manchem hilft ein Gespräch, ein Spaziergang, ein Gebet. Mancher ist glücklich, wenn unsere Kinder wieder lachen und spielen, so als ob es diese Tage des sinnlosen Mordes nicht gegeben hätte. Für einige unter uns ist aber nichts mehr wie vorher, nichts mehr normal. Wir dürfen sie nicht alleine lassen. Sie brauchen unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung. Das ist in Gottes Sinne, nicht die sinnlose Gewalt. Wem es schlecht geht, dem mache ich Mut andere anzusprechen. Und ich hoffe, er findet unser Ohr geöffnet und unser Auge sehend. Um diese gegenseitige Sorgfalt bitte ich Gott für alle Menschen in unserem Ort. Die Bibel sagt: "Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der HERR."

Helge Voigt, Pfarrer


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