Der Umbau der Hainkirche vor 100 Jahren

Wie sah die Hainkirche bis zum Jahre 1906 aus?
Sie war genauso lang wie heute, aber wesentlich schmaler. Der Chorraum (im Osten) war um 2 Spitzbogenfenster in seiner Südwand länger. Das Dach des Chorraumes war etwas höher als das des Kirchenschiffes. Auf diesem saß, mehr gegen Westen, ein achteckiger Dachreiter, der 3 Glocken und die Uhr enthielt. An der Nordseite der Kirche befand sich eine Sakristei und vor dem Haupteingang eine Vorhalle, die bei Beerdigungen als Leichenhalle diente.
Im Inneren trennte eine dicke Wand mit bogenförmigem Durchbruch den Chorraum vom Schiff. Im Chorraum befand sich rechts und links je eine Empore, im Schiff eine Orgelempore an der Westwand, die verbunden war mit einer Empore an der Südwand. Zwischen der Kirchentür (die an der gleichen Stelle wie heute war) und dem Mauerbogen waren 3 Emporen übereinander eingebaut. Die Zugänge zu den Emporen waren Holztreppen im Innern der Kirche. Abgesehen von den 3 noch heute erhaltenen Fenstern hinter dem Altar blieb nur ein weiters Fenster (an der Südwand des Schiffes, kurz vor dem Mauerbogen) frei; die sechs weiteren Fenster waren durch die Emporen verbaut. Der gesamte Innenraum war mit einer Balkendecke geschlossen, auf der Bretter lagen.
Das Sakramentshäuschen war in die Nordwand des Altarraumes eingemauert (also gegenüber seinem heutigen Platz).
Die Orgel war 1902 als Ersatz für ein Instrument aus dem Jahre 1740 angeschafft worden.
Die drei Glocken trugen die Jahreszahlen 1494 (kleine Glocke) und 1572 (mittlere und große Glocke). Im Wetterhahn auf dem Dachreiter stand die Jahreszahl 1653. Einen Eindruck vom Äußeren der Kirche kann man sich verschaffen, wenn man das Glasbild im Fenster der heutigen Sakristei der Hainkirche betrachtet.

Als 1905 ernsthafte Schäden am Dach auftraten, entschloss sich der Kirchenvorstand, anstatt zu einer Reparatur, zu einem Umbau. Treibende Kraft war hierbei Pfarrer Meltzer, der 1900 im Alter von 38 Jahren seinen Dienst in Lützschena und Hänichen mit Quasnitz angetreten hatte. Die Zeit um 1900 war von Optimismus und Aufbruchsstimmung geprägt, wovon die großen Gebäude in der Leipziger Innenstadt genauso Zeugnis ablegen wie der Aufbau des Straßenbahnnetzes. Die stadtnahen Dörfer wuchsen und wurden oft zum Wohnort für wohlhabende Bürger.
Im Jahr 1849 hatten Hänichen und Quasnitz zusammen 421 Einwohner, im Jahre 1900 hatte sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt, auf 890.

Am 5.1.1906 stellte der Kirchenvorstand ein Gesuch an das Landeskonsistorium (die oberste Behörde der Landeskirche) und begründete den geplanten Umbau damit, dass die Kirche nach der Zahl der Sitzplätze zu klein ist, dass der Mauerbogen zwischen Chorraum und Schiff die Sichtverbindung zwischen Gemeinde und Pfarrer stark einschränkt und dass die Kirche nur eine einzige Tür hat.
Dem Gesuch beigefügt war der Entwurf eines bekannten Leipziger Architekten, Hermsdorf, der vorschlug, den Mauerbogen zwischen Chorraum und Schiff abzutragen und den Chorraum zugunsten des Schiffes zu verkürzen, die Kirche durch den Anbau von zwei Seitenschiffen zu erweitern, einen Turm am Nordwestende der Kirche zu errichten (bei Verzicht auf den Dachreiter) und eine Dampfheizung einzubauen.
Der Baubeginn war für den 23.4.1906 (Ostern) geplant, die Einweihung sollte am 31.10. des gleichen Jahres erfolgen. Als Baukosten waren vorgesehen 34.998,- Mark. Verbunden war das Gesuch des Kirchenvorstandes mit der Bitte um finanzielle Beihilfe.

Zunächst stand das Konsistorium den Plänen sehr reserviert gegenüber: die Antwort vom März enthielt den Rat, wenn möglich den bisherigen Bau beizubehalten und damit dem ländlichen Charakter Rechnung zu tragen. Falls doch gebaut werden sollte, würde es vielleicht reichen, die Kirche nach Westen hin zu verlängern und den störenden Mauerbogen im Innern zu entfernen und nach Osten zu verschieben. Auch könne ja die flache Decke durch ein hölzernes Tonnengewölbe ersetzt werden.

Nach einem Schriftwechsel, in welchem der Kirchenvorstand einzelne Anregungen aufnahm, insgesamt aber bei seinen Umbauplänen blieb, erteilte das Konsistorium am 23.5. die Baugenehmigung und sagte eine Beihilfe in Höhe von 1.000,-Mark zu. Ausschlaggebend waren wohl folgende Gründe des Kirchenvorstandes: die Leipziger Dörfer nehmen immer mehr städtischen Charakter an und werden weiter wachsen; die Baukosten für den Umbau, den das Konsistorium vorgeschlagen hatte, werden mit 27.900,-Mark nicht wesentlich geringer ausfallen.

Nun erfolgte in großer Eile die Ausschreibung, und am 6.6., Mittwoch nach Pfingsten, konnte der Bau beginnen: Zunächst mit dem Ausbau der Orgel, der Abnahme der Glocken und dem Abbrechen des Altars.
Gleichzeitig mussten 4 Gräber von der Kirchenwand an die Friedhofsmauer verlegt werden. Das hatte im Vorfeld zu Unmut bei den betroffenen Familien geführt. Ein Mann hatte gedroht, die Umbettung mit dem Beil zu verhindern. Zum Glück geschah nichts dergleichen.

Als am 16.6. der Altar auseinander genommen wurde, entdeckten die Arbeiter in einer Vertiefung unter der Altarplatte mehrere altertümliche Gegenstände: Eine Metallkapsel, ein Stoffbeutelchen und ein großes Siegel. Dieses Siegel zerbrach leider noch in der Kirche. Die Kapsel enthielt zwei weitere Stoffbeutelchen und mehrere beschriebene Pergamentstreifen, die vorerst niemand lesen konnte Die spätere Entzifferung durch Experten ergab, dass es sich um Reliquien aus der Zeit der ersten Einweihung der Kirche handelte. Auf einem der Pergamentstreifen stand die Jahreszahl 1321.

Am 18.6. begann der Abbruch des Mauerbogens zwischen Schiff und Chorraum. Der Dachreiter wurde entfernt, ebenso das Dach, und nun begann der Abbruch der Seitenwände der Kirche an den Stellen, an denen die Seitenschiffe eingefügt und angebaut werden sollten .Auch die Sakristei wurde entfernt und eine Grube für das Fundament des Turmes ausgehoben. Ebenso wurde die Baugrube für den Heizungskeller an der Südseite ausgehoben. Am 2. Juli war der Turm bereits zwei Meter hoch gemauert. Leider gingen die Arbeiten aber viel langsamer als geplant voran. Weil zuwenig Arbeiter und kaum Fuhrwerke beteiligt waren, sammelte sich der Schutt des Abbruchs bergeweise im Inneren der Kirchenmauern. Um weiterarbeiten zu können, mussten die Schuttmassen mehrfach umgesetzt werden, bis sie endlich abgefahren wurden.
Ärger kam auch auf, als der Brunnen am Schulhaus versandete, als Gräber auf dem Friedhof beschädigt wurden und als der Grundstücksnachbar (Verlagsbuchhändler Hofmann) seine Scheune während der Erntezeit zurückverlangte. Er hatte das Gebäude, das im Osten an der Friedhofsmauer stand, für die Bauzeit als Lagerraum und den freien Platz davor (auf seinem Grundstück) den Zimmerleuten zur Herstellung des neuen Dachstuhles zur Verfügung gestellt.
Am 23.7. war der Turm etwa 7,5 m hoch. Große Steine aus den Abbruchmassen wurden in den Fundamenten verwendet. Der überflüssige Schutt wurde zum größten Teil im Gelände südlich der Kirche, im Pfarrgarten (unterhalb des Friedhofs), verfüllt.

Endlich konnte am 28. August Richtfest gefeiert werden. Außer den Kirchvorstehern und den Schulkindern und natürlich den Handwerkern nahmen nur wenige Gemeindemitglieder an dieser Feier teil, die 18 Uhr in der Kirche stattfand. Im Anschluss feierten die Arbeiter, Baumeister, Kirchvorsteher und der Architekt in Heimroths Gasthof (dem heutigen Bürgerhaus) bis kurz vor 23 Uhr.
Am 18. September wurde der Turmknopf aufgesetzt und mit einer Dokumentenkapsel gefüllt. Der Innenputz und der Heizungseinbau nahmen viel Zeit in Anspruch.

Mitte November schreibt Pfarrer Meltzer (dessen Notizen dieser Bericht folgt): „Vom 29. August bis Mitte November habe ich keine Aufzeichnungen mehr gemacht. Waren wir schon durch die Art der Ausführung der Abbrucharbeiten, die gewiss schneller hätten ausgeführt werden können, enttäuscht worden, so hätten wir über die weitere Arbeit verzweifeln können z. B. die Ausführung des Innenputzes wurde viel zu langsam betrieben; wegen der Holzdecke waren erst längere Verhandlungen nötig, und deren Fertigstellung zog sich bis zum 22. November hin."

Anfang Oktober waren die Glocken in den Turm gebracht worden. Anfang November konnte das Außengerüst an der Kirche entfernt werden. Um die Kirche innen auszumalen, musste dauernd geheizt werden, viele Tage lang mit zusätzlich aufgestellten Kokskörben. Ab dem 19. November wurden die bunten Glasfenster eingesetzt. Dabei wurden leider die beiden Fenster in den Seitenschiffen vertauscht: Das Bild vom Fischzug sollte auf die Elsterseite (Süden) kommen und der Sämann auf die Straßenseite (zwischenzeitlich ist der Tausch jedoch erfolgt).
Noch mussten die Emporen eingebaut werden, neuer Holzfußboden wurde verlegt, die Uhr kam in den Turm und die Orgel wurde wieder aufgestellt (die gleiche, die 1902 angeschafft worden war und schon nach wenigen Jahren der jetzigen Orgel weichen sollte).
Endlich, am 4. Advent, am 23.12.1906, fand der Einweihungsgottesdienst statt. Alle waren erleichtert und auch die Gemeindemitglieder haben sich schnell an ihre neue Kirche gewöhnt.

Die Endabrechnung ergab Baukosten von insgesamt 38.817,29 Mark. Damit war der Ansatz um etwa 11 % überzogen und wurde demzufolge auch vom Landeskonsistorium beanstandet. So fand man die Ausgaben für das Richtfest zu hoch. Zitat: "Besonders augenfällig ist der Bierkonsum: 10 Glas Bier auf den Kopf der Teilnehmer!" Man war auch nicht einverstanden mit Zeitungsinseraten, mit denen zum Einweihungsgottesdienst eingeladen worden war.
Der Umbau von 1906 gibt der Hainkirche bis heute ihr Gesicht. Anfang der 70er Jahre wurden Holz-Glaswände unter den Seitenschiffemporen eingezogen. Als 1999 die Dächer von Kirche und Turm erneuert wurden, bekam der Turm einen Ringanker aus Stahl (unterhalb der Schallfenster), da Risse im Mauerwerk entstanden waren. Aufgaben der Gegenwart sind: Innenrenovierung und eine Sanierung der Orgel.

Pfarrer i. R. Roland Pappe

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