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Wie ich in meinem Bericht zur 700-Jahrfeier von Lützschena ausführte, konnte die geplante Festschrift nicht erscheinen, weil das Papier dafür nicht zur Verfügung stand. Der Text eines Beitrages zu dieser Festschrift, den Herr Gerald Brause und ich seinerzeit verfaßten, ist aber noch in meinem Besitz. Ich habe mich entschlossen, ihn hier veröffentlichen zu lassen, enthält er doch eine Reihe von Fakten, die den jüngeren unter uns oder den Neubürgern der Ortschaft wenig bekannt sind. Auch läßt er einen Blick zu auf die Gedankenwelt der Zeit vor 24 Jahren. Vieles hat sich seither verändert, so daß man schon davon sprechen kann, daß das Papier einen Wert als historisches Dokument besitzt. Und warum soll man etwas neu schreiben, wenn vorhandenes noch brauchbar ist? Hier also seine wörtliche Wiedergabe, bei der ich keine Kürzung vornahm, mir aber erlaubte, im Interesse eines besseren Verständnisses Einfügungen zu machen, die kursiv und in Klammern gesetzt sind.
Auf halbem Wege zwischen der bedeutenden Messe-, Handels- und Industriemetropole Leipzig und der kleineren Industriestadt Schkeuditz, dort, wo das Grün der Felder und Gärten im Wettstreit mit den grauen Häuserzeilen der Städte siegreich bleibt, da liegt Lützschena. Zusammengewachsen aus den drei früher selbständigen Gemeinden Lützschena, Quasnitz und Hänichen, gleichsam "aufgefädelt" an der so wichtigen Fernverkehrsstraße F 6, durchzogen von den Gleisen der Straßenbahn und weiter draußen den Gleisen der Eisenbahnhauptstrecke Leipzig - Halle, "lebt" Lützschena wahrlich von der außerordentlichen Gunst der guten Verkehrslage. Wie kämen auch sonst die hunderte Lützschenaer pünktlich jeden Morgen zu ihren Arbeitsstätten nach Leipzig oder Schkeuditz, umgekehrt Arbeitskräfte aus diesen Orten zum Schichtbeginn in den VEB Exportbrauerei Sternburg Lützschena, dem wichtigsten Produktionsbetrieb der Gemeinde?
Im Ortsbild dominieren folgerichtig die durch ihre Höhe und charakteristische Gestalt hervorgehobenen Klinkerfassaden des Sudhauses und der Werkstätten, die Bierreaktoren und der Schornstein der Brauerei (letzterer demontiert bzw. gesprengt). Die übrige Bausubstanz in Lützschena dient, abgesehen von den Schulen, dem Kulturhaus und dem Weiterbildungszentrum des Ministeriums für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (im Schloß), als Wohnung für die ca. 3000 Bürger der Gemeinde. Die Wohnformen sind vielgestaltig und typisch für eine Wohnsitzgemeinde der Industriearbeiter am Rande großer Städte: Der individuelle und kollektive Bau von Eigenheimen, der nach 1985 hier einen gewaltigen Aufschwung nehmen soll, bestimmt mehr und mehr die bauliche Entwicklung. Für die alten dörflichen Strukturelemente wie geräumige Scheunen, kleine Ställe und Wirtschaftsgebäude bleiben freilich im Zeitalter der industriemäßigen landwirtschaftlichen Großproduktion kaum Aufgaben mehr übrig. Sie werden, von Ausnahmen abgesehen, in den nächsten Jahren nach und nach verschwinden und damit ein letzter Rest von Dorfidylle, den wir gern festhalten würden, wäre es volkswirtschaftlich vertretbar.
Vielleicht entschädigt dafür die vortreffliche Lage Lützschenas in der Landschaft, die wir erkennen und erleben können, wenn wir in einer kleinen Fußwanderung den Turm (Bismarckturm) erreichen, der auf einer Geschiebelehm-Hochfläche steht, die durch den Rest einer eiszeitlichen Endmoräne zusätzlich erhöht ist. Der weite Rundblick, oft schon beschrieben, reicht von den Hochhäusern und Türmen der Messestadt bis in den Industrieraum Leuna - Merseburg - Halle und erlaubt, die zweieinhalb Kilometer breite und dicht bewaldete Elster-Luppe-Aue mit einem Blick zu erfassen. Und dort, wo Hochfläche und Flußaue bisweilen mit scharfem Steilhang aneinander grenzen, finden wir den größten Teil der altbekannten Bauten unserer Gemeinde.
Die günstigen geographischen Bedingungen im Gebiet der heutigen Gemeinde Lützschena, das Vorhandensein von viel Wasser und Wald und damit verbunden einer reichen Flora und Fauna, waren sicher der Grund dafür, daß sich hier bereits in vorgeschichtlicher Zeit Menschen aufhielten. Altpaläolithische Funde in Kiesgruben westlich von Lützschena belegen, daß in der Saale-Eiszeit (ca. 60.000 v.u.Z.) hier Menschen lebten, die Steinwerkzeuge verwendeten. Um 1000 v.u.Z. begann man in unserer Heimat auch Eisen zu verwenden, was ein entsprechender Fund bei Lützschena beweist. Der Einfluß hier lebender Kelten ging jedoch immer mehr zurück, als sie um 500 u.Z. durch Germanen verdrängt wurden, die in dieser Zeit hier seßhaft wurden. Bemerkenswert ist ein Gräberfeld der Germanen, das in der Nähe von Hänichen freigelegt wurde und aus dem 1. bis 2. Jahrhundert u.Z. stammt. Unter den Grabbeigaben befanden sich Urnen, eiserne Lanzen und Scheren, Fibeln und Kultgegenstände. Bereits um 500 v.u.Z. fanden hier Bestattungen der Germanen statt.
In das Gebiet westlich der Elbe zogen um das Jahr 500 u.Z. Slawen, wobei unsere Gegend besonders von Sorben besiedelt wurde. Sichere Spuren für die Anwesenheit sorbischer Bauern fand man u.a. in Schkeuditz, Quasnitz, Maßlau und Dölzig. Aus dieser Zeit stammen auch die Namen vieler Orte unserer engeren Heimat. Die Bezeichnung Lützschena rührt von dem slawischen "Lucany" her und läßt sich übertragen als "Leute, die im Wiesenlande wohnen", aber auch als "schöne Lage". Beides erscheint uns auch heute noch gerechtfertigt. Den Ortsnamen Quasnitz glaubt man von dem slawischen "kvas" (Säure) herleiten zu können als "Ort mit säuerlichem Boden. Germanischen Ursprungs sind Hänichen (kleiner Hain) und die Flußnamen Elster (von Alstraw - eilendes Wasser) und Luppe (von Lupaha - rauschendes Wasser). Die slawischen Stämme der Sorben wurden von den aus Franken und Sachsen um das Jahr 900 eindringenden Feudalherren unterworfen, wobei das Gebiet um Schkeuditz verwaltungsmäßig dem Bistum Merseburg unterstellt wurde.
Schriftliche Zeugnisse über unseren Ort gibt es erst seit dem 13. Jahrhundert, als sich die Herrschaft der Feudalherren weit gefestigt hatte. So ist uns bekannt, daß Markgraf Theoderich von Landsberg am 12. Mai 1271 die Orte Hänichen und Quasnitz an den Merseburger Bischof Friedrich von Torgau verkaufte. Die erste urkundliche Erwähnung von Lützschena stammt vom 6. September 1278, weil an diesem Tage der Markgraf Dietrich von Landsberg den Ort Luzsene für 80 Silbermark an den Bischof von Merseburg verkaufte. Im Jahre 1321 wurde die Kirche in Hänichen geweiht, die auch als Pfarrkirche für Quasnitz diente. Am 26. Juli 1537 wurde die unbesetzte Pfarre Hänichen mit der von Lützschena vereinigt, wobei letztere die Rolle der Mutterkirche übernahm und bis zum heutigen Tage ausübt.
1404 kam Wilhelm von Uechtritz, ein Sohn Otto von Uechtritz auf Schwerdta in der Oberlausitz, nach Meißen und kaufte Lützschena. Er verheiratete sich mit Magdalena von Lichtenhain aus Ostra und hatte zwei Söhne. Der Sohn Bernhard erhielt Lützschena und kaufte Freiroda dazu. Das Gut blieb über 400 Jahre im Besitz dieser Familie, und zwar bis 1822. Das Leben der Einwohner der Dörfer Lützschena, Quasnitz und Hänichen in der Zeit des Feudalismus war sicher kein leichtes. Mißernten, Feuersbrünsten, Überschwemmungen und Krankheiten waren die Menschen ausgeliefert. Der Feudalherr und die Kirche verlangten von ihnen Frondienste und Abgaben, der Landesherr hob Soldaten aus und finanzierte aus den Steuern seine luxuriöse Hofhaltung in Dresden sowie seine zahlreichen Feldzüge. Hinzu kam, daß Lützschena, Hänichen und Quasnitz wegen ihrer Lage an der Straße zwischen den Städten Leipzig und Halle oft den Durchzug kriegerischer Heere erleiden mußten und sich in ihrem Gebiet auch Kampfhandlungen ereigneten, denn die Grenze zwischen Preußen und Sachsen, zu dem ja auch unsere Orte gehörten, war nicht weit entfernt. So streiften in unserer Gegend im Jahre 1430 die aufständigen Hussiten. Im Jahre 1547 während des Schmalkaldischen Krieges zogen am 23. Februar die kurfürstlichen Reiter von den Kohlgärten bei Leipzig bis nach Lützschena, zerschlugen die Mühlsteine und zerschnitten die Räder an den Wellen. Während des Dreißigjährigen Krieges (1618 - 1648) wurde unser Heimatgebiet des öfteren von Truppen durchzogen, niedergebrannt und geplündert. Im Schlesischen Kriege erfolgte am 29.11.1745 ein Angriff der Preußen aus Richtung Halle über Schkeuditz auf Leipzig, in dessen Verlauf auch bei Lützschena gekämpft und der Ort geplündert wurde.
In ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ragten die drei Orte nicht über den damaligen Rahmen hinaus. In Lützschena und Hänichen arbeiteten Mühlen, wobei die früheren Besitzer der Lützschenaer Mühle bis zum Jahre 1695 durch Urkunden nachgewiesen werden können. Zum Gutshof gehörten eine Ziegelei und auch eine Brauerei. Das dort hergestellte Bier wurde 1795 vom Rat der Stadt Leipzig als Qualitätsbier anerkannt und zur Einfuhr in die Stadt Leipzig zugelassen, wurde aber auch in dem 1727 erbauten ersten Lützschenaer Gasthof mit Ausspanne angeboten. 1791 wird am Friedhof in Hänichen eine Schule gebaut, in der auch die Kinder aus Quasnitz und Lützschena unterrichtet wurden. Wie dieser Unterricht aussah, das kann man sich vorstellen, wenn man erfährt, daß 1840 der Lehrer allein 155 Kinder betreute und der Gemeindebackofen sich bis 1876 im Schulraum befand.
Die Kriege der Befreiung vom napoleonischen Joch sind auch an unserem Ort nicht spurlos vorübergegangen. Vorboten der Entscheidungsschlacht bei Leipzig waren Truppenkonzentrationen in der Umgebung der Stadt. So wurden in Lützschena am 11.4.1813 russische Soldaten (Tataren) einquartiert, denen am 26. April russische Infanterie folgte. Die am 6.8.1813 einquartierten französischen Truppen blieben 8 Wochen im Ort. Am 13.10.1813 befanden sich in Lützschena französische Vorposten, die sich aber auf Wahren und Möckern zurückzogen, als am 15.10.1813 Yorck´sche Truppen sich aus Richtung Schkeuditz über die Kaltenborner Berge dem Ort näherten und dabei feuerten. Einem Befehl Blüchers folgend sollte Yorck seine Einheiten bis Lützschena führen und dort in Richtung Lindenthal einschwenken. Am Morgen des 16. Oktober jedoch rückte er über Wahren direkt auf Möckern zu, wo er den dort Widerstand leistenden Franzosen in einer erbitterten und verlustreichen Schlacht, die den ganzen Tag andauerte, eine Niederlage beibrachte. Lützschenaer Bürger wurden herangezogen, um die Verwundeten zu bergen und bei der Bestattung der Gefallenen zu helfen. Um ein Ausweichen der Franzosen auf die Auenwälder zu verhindern, wurden die Brücken südlich von Lützschena gesprengt und von Österreichern bewacht. Am 19.10.1813 brachte man russische Verwundete nach Lützschena, um sie dort betreuen zu lassen.
Die Befreiungskriege brachten eine Reihe von politischen und wirtschaftliuchen Umwälzungen. So wurde Lützschena vom Amt Schkeuditz abgetrennt, blieb aber bei Sachsen. Die Landesgrenze verlief nun weiter östlich, nämlich zwischen Hänichen und Modelwitz. Dort fielen die Zollschranken erst in der Silvesternacht des Jahres 1833, nachdem Sachsen und Preußen dem im Jahre 1833 gegründeten "Allgemeinen Deutschen Zollverein" beigetreten waren. Die Nachkommen derer von Uechtritz (Familie Klengel) waren in finanzielle Schwierigkeiten geraten und mußten das Gut Lützschena verkaufen. 1822 kaufte Maximilian Freiherr Speck von Sternburg (1776 - 1856) das Rittergut Lützschena mit Freiroda und Anteil an Schkeuditz nebst Kritzschiner Mark für 110 000 Taler. In diesem Besitztum sind ihm die Grundstücksbesitzer von Lützschena, ein großer Teil der Stadt Schkeuditz, die Dörfer Freiroda, Wehlitz, Röcken, Großheringen der benachbarten Kritzschiner Mark lehns- und zinspflichtig. Dabei bestehen die Leistungen in Fronen, Lehnrenten, Erbzins, Katzenzins, Brautschilling, Holzhackergeld und Naturalleistungen. Bis zum Jahre 1856 übten die Rittergutsbesitzer die Patrimonialgerichtsbarkeit aus, bevor die niedere Gerichtsbarkeit in die Gerichtsbarkeit des Staates überging und von den Gerichtsämtern und Bezirksgerichten ausgeübt wurde. Speck von Sternburg nutzte die Chancen, die ihm die frühkapitalistische Entwicklung in Deutschland bot, indem er die bei Auslandsreisen gewonnenen Erfahrungen auf sein Anwesen übertrug und es zu einer Musterwirtschaft entwickelte. So führte er die Stallfütterung ein, entwickelte neue Rinderrassen und verbesserte die Schafzucht, intensivierte den Obstbau, wendete die Mineraldüngung an, ließ Hopfen anbauen und Hochwasser- schutzmaßnahmen ergreifen. 1834 ging er daran, das alte Brauhaus neben dem Gutshof zu schließen und neben dem 1826 eröffneten Gasthof eine zeitgemäße Brauerei zu errichten. Die 1851 durch Speck von Sternburg eingerichtete landwirtschaftliche Lehranstalt diente dazu, neben den Reisen nach Rußland und Bayern auch auf diesem Wege die für die damalige Zeit fortschrittlichen Wirtschaftsmethoden auf dem Lützschenaer Gutshofe einem größeren Kreise von Fachleuten zugängig zu machen. Natürlich zogen die Sternburgs als Junker und gleichzeitig Kapitalisten daraus den größten Nutzen und waren so in der Lage, sich eine umfangreiche Sammlung von wertvollen Gemälden und anderen Kunstgegenständen anzuschaffen, einen großen Park anzulegen, um ein Leben in Wohlstand zu führen. Andererseits gelang es ihnen, Lützschena eine über die Landesgrenzen hinausgehende Bedeutung zu geben, wobei die Bewohner des Ortes, gemessen an anderen Dörfern jener Zeit, ein relativ hohes Lebensniveau besaßen.
Die Straße von Leipzig nach Halle wurde 1619 in einer neuen Trassenführung und vor allem geradliniger und hochwasserfrei angelegt und ermöglichte so einen verbesserten Reise- und Güterverkehr, was sich auch positiv auf unsere drei Dörfer auswirkte. Wegen der guten Verkehrslage und des dort erhältlichen ausgezeichneten Bieres wurde der Gasthof Lützschena als Ausflugslokal gern aufgesucht. Besonders Angehörige der Leipziger Burschenschaften kamen gern hierher. 1841 weilte in ihrer sicher sehr fröhlichen Runde der Schriftsteller Theodor Fontane. Im Jahre 1835 wurde eine Gesellschaft gegründet, die den Bau einer Eisenbahnlinie von Leipzig nach Magdeburg zum Ziele hatte. Am 30.Juni 1839 wurde die Teilstrecke Leipzig - Schönebeck eröffnet und am 18. August 1840 die gesamte Strecke, vorerst allerdings ohne Haltepunkt in Lützschena.
Im Jahre 1844 wurde von der Gemeinde eine Schule errichtet, so daß die Lützschenaer Kinder nicht mehr nach Hänichen zum Unterricht gehen müssen. Als diese Schule nicht mehr ausreichte, wurde das Gebäude (An der Schäferei 9) zum Preis von 1000 Talern an die Familie Mocker verkauft, in deren Besitz es sich heute noch befindet. Die Kaufsumme wird dazu verwendet, 1877 eine neue Schule zu errichten (schräg gegenüber ehemaliges Postamt, An der Schäferei 26). Dabei wird diese Kaufsumme als Beitrag der Kirche ausgewiesen, nachdem die alte Schule als "Kirchenschule" deklariert wurde. In dem 1877 errichteten Neubau befinden sich heute (also vor 24 Jahren) das Postamt und der Rat der Gemeinde.
1851 wurde durch Speck von Sternburg an der Straße nach Stahmeln eine Kinderbewahranstalt eingerichtet, in der die Kinder der auf seinem Gut arbeitenden Frauen untergebracht wurden. Erst 1902 wurde sie aufgelöst. Durch diese "Anstalt" erschlossen sich dem Gut zusätzliche Arbeitskräftereserven.
Gerald Brause
Horst Pawlitzky
So weit, verehrte Leserinnen und Leser, die Abschrift des Textes. Wenn Sie noch mehr wissen möchten zu unserer Ortschaft, ihrer Geschichte, Sehenswürdigkeiten usw. so finden sie eventuell auf dieser Sete weitere Informationen.